Sunday Colors: Bauchgefühl

Wenn man wie ich davon überzeugt ist, dass es die Wahrheit gar nicht gibt, sondern ein jeder durch seine jeweils eigene mehr oder weniger stylische Brille - von rosa bis tiefschwarz gefärbt - in die Welt blickt, dann weiß man auch um die Konsequenz, dass man nämlich im Grunde niemals Recht haben kann. Ich geh ohnehin davon aus, dass die meisten meiner Einsichten, von denen ich gestern noch völlig überzeugt war, morgen bereits wie Seifenblasen zerplatzen werden. Gut so, denn nur so wird wieder Raum für neue Erkenntnisse und die daraus wachsenden Ideen geschaffen.

Ach ja. Ich würde sogar behaupten, dass dieser so genannte Wankelmut, neben "missverstanden werden", "sicherem Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit" und "mir spontan was aus dem Ärmel schütteln", wohl zu meinen herausragenden Charaktereigenschaften gehört. Dieses wunderbare Talent lässt mich sozusagen "aus dem Nichts" weitreichende Entscheidungen treffen, diese aber genauso schnell wieder in die Tonne kloppen, frei nach dem Motto: "Was geht mich mein saudummes Geschwätz von gestern an" "Wenn etwas nicht funktioniert, versuch etwas anderes". Ich finde ja, das macht generell frei und sorgt nebenbei für launige Abwechslung im sonst so tristen Alltag 😂.

Aktuelles Beispiel: nach immerhin fast 3 Jahren als "flexible pädagogische Fachkraft" - auch "Springerin" genannt - entschloss ich mich vor drei Tagen ganz spontan, mich ab September doch wieder voll und ganz meiner Arbeit als Bezugspädagogin zu widmen, mit allem drum und dran, und leitete dies noch am selben Tag in die Wege. War irgendwie so ein Impuls. Ging in Sekundenschnelle aus dem Bauch heraus. Und weil ich mich auf meine Intuition voll und ganz verlasse, musste ich auch nicht länger warten oder die berühmte "Nacht drüber schlafen".

Zweites Beispiel: als die Bewerberin ihren so genannten "Schnuppertag" in der Einrichtung absolvierte, war ich zunächst sehr angetan, aber dann sagte sie etwas, das mich aufhorchen ließ. Es war nicht der Inhalt, sondern mehr, wie sie es sagte, was plötzlich sozusagen bei mir sämtliche Alarmglocken schrillen ließ. Weil ich dieses Gefühl nicht begründen konnte, äußerte ich es auch nicht. Im Nachhinein ein Fehler, denn sie hätte es fast geschafft, das Team und sogar die Kinder zu entzweien und manipulativ zu spalten. Auch ein Talent, aber in meinem Job halt eher kontraproduktiv.

Was ich damit ausdrücken möchte: das Bauchgefühl besitzt nicht nur wahre Superkräfte, sondern greift binnen Sekunden auf Millionen Informationen im Unterbewusstsein und unseren gesammelten Erfahrungsschatz zurück. Studien bestätigen sogar wissenschaftlich, dass es deshalb klug ist, auf unseren so genannten sechsten Sinn zu hören. 

Noch mehr Beispiele: da ich häufig allein unterwegs bin, zum Beispiel auf Reisen, habe ich im Laufe der Zeit einen sehr guten Riecher für verborgene Gefahren entwickelt. Ich spüre einfach, wann es besser ist, die Straßenseite zu wechseln, nicht einzusteigen, bestimmte Personen zu ignorieren... ihr wisst sicher, was ich meine. Ich behaupte auf gar keinen Fall, dass mir nichts passieren könnte - natürlich nicht. Aber bislang hatte ich neben großem Glück vermutlich auch immer die passenden Eingebungen.

Der US-Psychiater Eric Berne definiert das Bauchgefühl folgendermaßen: „Intuition ist Wissen, das auf Erfahrung beruht“. Es ist also nicht bloß nur "so eine komische, unbegründete Vorahnung...". Das Wort "Intuition" stammt übrigens aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie "genau hinsehen". Die leider inzwischen so abgenudelte Achtsamkeit hat also auch viel damit zu tun.

Schon vor Jahren fand der US-Neurophysiologe Benjamin Libet heraus, dass unser Gehirn erst etliche Sekunden nach der eigentlichen Entscheidung aktiv wird. Wir haben also quasi schon entschieden, bevor wir das bewusst tun. Bestätigt wird das durch Studien an der Harvard Universität: 220 bis 260 Millisekunden nach einem Reiz fühlen wir – aber erst ab der 480. bis 640. Millisekunde setzt der Verstand ein und kalkuliert. 

Daher bin ich mir ziemlich sicher, dass ich meinen Wiedereinstieg in den Job nicht bereuen werde. Abgesehen davon, dass ich eh kaum jemals etwas bereue. Dennoch... ihr kennt ja bestimmt das Motto der Kinder-Quiz-Sendung "1, 2 oder 3": "Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht!" Und das geht ja meistens leider erst an respektive auf, wenn man die Wahl bereits getroffen hat. Falls ich also komplett daneben lag, auch wurscht. Dann versuch ich eben was anderes.

OUTFIT:

Kleid: aus 2. Hand 

Schuhe: Gabor (2018)

Tasche und Sonnenbrille: älter (??)

Taschengurt und Waranbrosche: da Sempre

LOCATION:

Schloss Seefeld