Die Genervtheit der Großstädter
Gestern standen mein Freund und ich im allseits beliebten
schwedischen Möbelhaus an der Kasse. Wir hatten nur ein paar
Kleinigkeiten in der gelben Tasche - und vor uns wartete schon ein
junges
Paar mit zwei Wagen voller riesiger flacher Pakete. Der sehr gut aussehende junge Mann (spielt eigentlich überhaupt keine Rolle, aber ich erwähne das, weil sich die
Unfreundlichkeit in der Großstadt manchmal scheinbar proportional zur Attraktivität steigert!)
sah uns kommen, lächelte breit und fragte uns in tiefstem Bayrisch, ob
wir mit
unseren paar Sachen nicht vorgehen mochten, wir hätten ja nicht
viel, und bei ihm würde es vermutlich ein bisschen länger dauern. Dann
sah er, dass die Kassiererin bereits angefangen hatte, seine
Pakete einzuscannen, entschuldigte sich bei uns, dass er uns jetzt doch nicht vorlassen könne,
während wir beteuerten, dass das doch überhaupt kein Problem sei, wir
hätten Zeit.
Wir lächelten uns alle herzlich an, der junge Mann scherzte noch ein
wenig mit der Kassiererin, sagte dann erneut zu uns, dass es ihm Leid
tue, dass wir warten müssten und als er fertig war,
verabschiedeten wir uns alle voneinander und wünschten uns
gegenseitig ein schönes Wochenende.
"Na und...?", werden vielleicht jetzt einige von Euch denken, "...wo
bleibt die Pointe der Geschichte?". Die Pointe ist die, dass mir diese
kurze oberflächliche Begegnung mit einem Wildfremden
noch einen Tag später im Gedächtnis haftet, ich sogar einen Post
darüber schreibe, weil - und jetzt kommt's: es nicht NORMAL ist, dass Leute hienieden so freundlich sind. Es ist so ungewöhnlich, dass ich sicher bin, dass
der Mann gar nicht aus München selbst - sondern aus der ländlichen Region (oder vielleicht gar aus einem anderen Universum?) kam, denn: er war überhaupt nicht verbissen,
genervt oder egozentrisch.
Es fängt ja schon in der Früh an, wenn ich mit dem Auto zur Arbeit fahre: die meisten Autofahrer sind tierisch genervt. Vom Verkehr, von den vielen Baustellen, von solchen
Hirni-Fahrerinnen wie mir, die an der Ampel mal drei Sekunden später lospreschen, weil sie Tomaten auf den Augen haben...
Da wird dann gehupt, geschimpft, rechts überholt, knapp vor
meinem Wagen eingeschert... Motoren dröhnen, Bremsen quietschen,
Mittelfinger schnellen heraus... und ich reagiere natürlich ebenfalls
genervt, weil die anderen so aggressiv
fahren, dass ich oft schon fix und fertig bin, bevor der Tag erst richtig angefangen hat!
Wenn Ihr allerdings glaubt, man könne sowas umgehen, indem man auf
öffentliche Verkehrsmittel ausweicht... dann habt Ihr noch nicht erlebt,
wie sich manche Mitmenschen an der S-Bahn
vordrängen, einen im Vorbeigehen die Taschen in die Seite rammen oder einfach nur mit einem vernichtenden Blick kurz vom Smartphone aufschauen, sobald man es
wagt, sich auf den freien Platz ihnen gegenüber zu setzen.
Und nach Feierabend (da sind die Leute erfahrungsgemäß besonders genervt) an der Supermarktkasse
überfällt mich manchmal ein regelrechter Drang, die Kassiererin ein
bisschen zu
schütteln, anstatt immer großzügig darüber hinwegzusehen, dass mir
auch hier Genervtheit und Unfreundlichkeit entgegenschlägt. Oft reicht
es schon, wenn ich meinerseits freundlich lächele,
"Bitte", "Danke" und "Ciao!" sage - und im Gegenzug... NADA.
Okay, ich bin empfindlich, ich bin nicht repräsentativ, ich
übertreibe hier vielleicht, meine Ansprüche an andere sind zu hoch und:
ich weiß um die Wechselwirkung. Wie man in den Wald hinein
ruft... und so weiter. Und: natürlich erlebe ich auch in meiner geliebten Stadt München viel Freundlichkeit, klar
(denn wenn es nicht so wäre, würde ich mir schon ernsthaft
Gedanken machen, ob mit mir etwas nicht stimmt.) Manchmal mache ich
mir auch Sorgen, ob ich jetzt wohl so alt bin, dass ich mich ständig
über die "Jugend von heute" aufregen muss.
Aber es ist ja gar nicht mal "die Jugend". Diese Genervtheit, die ich in den letzten Jahren verstärkt wahrnehme, ist generationsübergreifend! Die Unfreundlichkeit ist alterslos.
Und... ist sie wirklich ein Phänomen der Großstadt?
In Bangkok (14 Millionen Einwohner) strahlten mich täglich wildfremde Menschen an. In Istanbul (fast 20 Mio.) wurde ich als Alleinreisende oft (und: nein, nicht
auf diese Weise!) nett angesprochen. In Tunis (fast 12 Mio.) durfte ich ungewöhnliche Höflichkeit und Gastfreundschaft kennenlernen, und in London (immerhin 8
Mio.) überschlugen sich einige Leute beinahe, um mir als Touristin zu helfen. In der 1,6-Millionen-"Großstadt mit Herz" München dagegen... und von Berlin (fast 4
Mio.) will ich hier gar nicht erst anfangen! Tja, so viel zum Thema Großstadt.
Ist diese Unfreundlichkeit also doch ein nationales Phänomen? Gerade
von Deutschen höre ich oft, dass die Süd-Ost-Asiaten, Araber, Briten
oder Australier sich zwar ausgesprochen freundlich
verhielten, aber dass diese Freundlichkeit schließlich nur "aufgesetzt und oberflächlich" sei. Oder es heißt, "naja, die wollten dir bestimmt nur was verkaufen...!" Hä???
Wollt Ihr meine Meinung dazu hören? 1. Es ist mir egal, ob
Herzlichkeit oberflächlich gemeint ist, sowas von! Sie schenkt mir ein
gutes Gefühl. Und ich habe lieber ein oberflächliches
gutes Gefühl, als tiefgründige schlechte Laune... und 2.
glaube ich nicht (wie es den Aussagen nach offensichtlich viele Menschen
in diesem Land tun und scheinbar danach handeln!), dass
Menschen nur dann freundlich sind, wenn es sich für sie "lohnt".
Mein Shirt sagt es auch (und als "Queen"-Fan freue ich mich
natürlich besonders darüber...): ich will alles haben: großstädtische
Herzlichkeit und oberflächliche Tiefgründigkeit... Zum
langärmligen, melierten Shirt kombiniere ich eine beschichtete schwarze Hose, Leo-Sneakers, eine beige-glänzende Jacke, eine goldfarbene
Tasche und einen Leo-Schal.
Langärmliges Shirt: Linea
Hose: Mango
Jacke: Basler
Sneaker: Weareunited (WAU)
Tasche: Robert Pietri
Sonnenbrille: Missoni
Tuch: ???
Ohrringe: Galeria Kaufhof
Wie seht Ihr das: werden wir tatsächlich immer genervter?
Ist Freundlichkeit "out"? Und ist aggressives, rücksichtsloses Verhalten
ein Großstadt-Phänomen?
-
#1
Liebe Maren, Du solltest mal in einer Arztpraxis arbeiten :)) Was da alles reinschallt , grins... Aber ich muss gestehen, es gibt auch die gaaaanz lieben Patienten, die freundlich sind, Ich bin eigentlich immer geduldig wenn ich frei habe. Da warte ich auch länger, ist mir sowas von wurscht. Das tut mir auch gut. Genervt sein erfordert jede Menge Kraft und dem Blutdruck tuts auch nicht gut ;)
Dein Shirt ist toll, wie passend :)
Liebe Grüße Tina -
#2
Liebe Tina, da hast Du natürlich absolut Recht! Aber trotzdem gibt's so viele Leute, die nicht auf ihren Blutdruck achten! Ich bleibe auch lange geduldig, naja, relativ lange zumindest ;-). Dass Du es in der Praxis nicht immer mit lieben Patienten zu tun hast, kann ich mir gut vorstellen!! Das erfordert wahrscheinlich auch viel Geduld und Empathie...! Sei lieb gegrüßt nach Monnem, alla tschüss!
:-) Maren -
#3
Liebe Maren, vielen Dank für Deinen Besuch bei mir auf dem Blog.
Wenn ich das richtig verstanden habe, wohnst Du in München?
Ich bin dort geboren und wohne etwas außerhalb, im Süden. Jeden Tag fahre ich mit der Bahn in die Stadt. Seit 1989 zum Arbeiten. Zwischenzeitlich nicht mehr in der Innenstadt :-(, sondern hinter der Borstei, zwischen O2 Tower und Olympia Turm.
Ist schon eine ganz schöne Meile. Ich kann jetzt nicht feststellen, dass sich da in den fast 30 Jahren viel getan hätte, was das Verhalten in den Öffentlichen betrifft. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur so abgestumpft und hänge meinen Gedanken nach oder bin mit "Fahrt-Bekanntschaften" ins Gespräch vertieft.
Einzig die Studenten, die in die Tram zusteigen, sind ziemlich "frech". Stellen Dir Ihre Taschen auf die Schuhe o.ä. Aber da mach ich dann schon immer ne Ansage.
Viel schlimmer finde ich eigentlich die Münchner, die bei jedem Sonnenstrahl "raus" fahren und bei uns die Straßen vertopfen. Mit dem Auto versteht sich.
Und ja. Die Leute vom Land, auch die Kinder und Jugendlichen die man im Zug trifft sind durch die Bank höflicher. Man grüßt wenn man in den Laden kommt, zahlt und wieder geht. Man macht Platz für alte Leute. Auch der Umgangston untereinander ist respektvoller.
Das kommt daher, weil da wo man her kommt, einen jeder kennt und man bei schlechtem Benehmen sofort "ausgerichtet" und bei den Eltern "hingehangen" wird. Ein abtauchen in der unbekannten Masse ist nicht möglich. Und sozialverträgliches Miteinander wird vorgelebt.
Du arbeitst in einer Kita? In München? Wie sind da die Eltern drauf?
LG Sunny -
#4
Hallo Sunny, danke für Deinen Besuch! Ja, ich wohne seit 20 Jahren in München und fühle mich hier sehr wohl. Ich arbeite in einer Sozialpädagogischen Tagesgruppe, das ist ähnlich einer Heilpädagogischen Gruppe, nur mehr Kinder... ;-) Das heißt, es sind schon "Herausforderungen", wie man so schön sagt, wenn man manchmal komplett am Rad dreht ;-) Die Eltern sind unterschiedlich, alle tun, was sie können, manche sind überfordert, manche mit eigenen Problemen überfrachtet, manche möchten gern ihr Kind abgeben und wir sollen dann Wunder vollbringen, manche sehen überhaupt keine Schwierigkeiten, was soll's, wenn der Bub mit 9 noch nicht lesen kann, manche sind einfach hilflos und die meisten aber kooperativ (irgendwann...). Aber es macht Spaß!
Du hast Recht, ich bin selbst auf dem Dorf aufgewachsen, und da musste man höflich sein, besonders zu Erwachsenen, grüßen etc. Aber das meinte ich eigentlich nicht in dem Post, sondern eine Herzlichkeit und Freundlichkeit, die ich z.B. in Großbritannien ganz oft erlebe, einfach so (auch in London). Wenn man höflich ist, weil man es muss, finde ich das natürlich ätzend - sowas will ich auch nicht. Man kann aber anonym sein in der Stadt und trotzdem freundlich, das geht. Bin's ja auch ;-) Meistens zumindest! Liebe Grüße, Maren
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