Sunday Colours: Greg's Tagebuch, Teil 1

Ist es nicht beruhigend, sich in diesen unsicheren und nervenzermürbenden Zeiten wenigstens in seinem beruflichen Umfeld so richtig geschützt, geborgen und sicher zu fühlen...? Im Radio auf dem Weg zur Arbeit höre ich beispielsweise nach wie vor, dass die Ansteckungsgefahr für Covid 19, die von Kindern bis 10 Jahren ausgeht, verschwindend gering sei, überhaupt stecke man sich auf Arbeit sowieso eher nicht mit dem Virus an, sondern beim Feiern, weshalb es eine grandiose und völlig logische Idee ist, die Sperrstunde zu verschieben (Aerosole sind nämlich Langschläfer, wisst Ihr, vor 23 Uhr tauchen die in keiner Kneipe auf!).

Dass es inzwischen die Nachbar-HPT getroffen hat (zwei positiv getestete Kinder unter 10) und dass 3 Geschwisterkinder von denen, die unsere Einrichtung besuchen, jetzt sicher daheim unter Quarantäne stehen (ja ja, gaaaanz sicher! Ein von ADHS betroffener Junge lebt z.B. in einer echt kuscheligen Gemeinschaftsunterkunft, liebevoll GU genannt, mit der 5köpfigen Familie seit fast 6 Jahren in einem Raum - waas? werdet ihr jetzt ungläubig sagen, das kann doch gar nicht sein! Doch, doch, Ihr Lieben, man nennt es "Wohnungsknappheit" und "München"!) aaach, na ja. Da wird sich schon eine Lösung finden. Vielleicht ein Quarantäne-Zelt aufstellen?

Ich fühl mich schon deshalb so sicher, weil wir ja unsere Anweisungen haben, von denen eine lautet: Kinder, die irgendwelche Symptome haben, müssen sofort nach Hause geschickt werden, und sollen erst wiederkommen, wenn sie einen negativen Corona-Test mit im Handgepäck haben. Jaaaahaaa. Das ist besonders dann lustig, wenn die überlasteten Arztpraxen sich weigern, ein Kind wegen eines Schnupfens auf Covid-19 zu testen. 

Aber sorgen müssen wir uns ja ohnehin überhaupt gar nicht, denn: Hurra! Es gibt ja unseren selbstgeklöppelten Mund-Nase-Schutz! Und das Tragen von diesem schützt! Bombe! Aber sowas von!! Die letzten drei Tage stand ich übrigens allein in der Gruppe, weil die Kollegin krank daheim bleiben musste. Na, ratet mal: ihr Arzt sagte, sie habe eine starke Erkältung, aber testen würde er sie jetzt noch nicht... aaach! Aber das macht doch auch überhaupt nix, denn: ich bin ja da! Juchhuu! Mit exakt den gleichen Erkältungs-Symptomen wie meine Kollegin übrigens, bloß in abgemilderter Form. Huch, da fällt mir gerade ein: Ihr habt Euch verlesen. Ich habe keine Symptome. Hatte ich nie und werde ich nie haben. Und meine Maske schützt natürlich!

Und was die letzten drei Tage angeht, sagen wir mal so: ich war nicht gerade beleidigt, als es Freitag halb sechs war und ich alle ins Wochenende verabschieden konnte! Puh. Aber auch das war alles gaaaar kein Problem, denn: ich hatte ja bereits zuvor die "offizielle Erlaubnis" erteilt bekommen, Kinder nach eigenem Gusto (auch am Mittwoch, Donnerstag und/oder Freitag) "nach Hause" zu schicken, falls es mir mit der ganzen Gruppe zu viel würde. 

Hmmmmm, dachte ich also, mal überlegen: Schick ich jetzt den Jungen nach Hause, dessen alleinerziehender Vater im Schichtdienst arbeitet und wegen häufiger Fehlzeiten kurz vor der Entlassung steht oder den Jungen, der bis zu einer Stunde mit dem Taxi quer durch die Stadt gefahren wird - oder aber besagtes Mädchen aus der heimeligen GU, deren Mutter schon mit dem Bruder in Quarantäne am Anschlag ist - vielleicht aber auch den Jungen, der mit der Familie gerade aus der Unterkunft rausgeschmissen wurde, weil sie sich nicht an die Regeln gehalten haben und die hochschwangere 17jährige "Verlobte" des älteren Sohnes illegal bei sich beherbergten? Vielleicht aber auch das andere Mädchen mit der kurz vor der Entbindung stehenden alleinerziehenden Mutter, die telefonisch nie zu erreichen ist?? Tja! Die Qual der Wahl...!

Ganz dreist und sozusagen "am Rande der Legalität" hab ich beschlossen, einfach mal niemanden heimzuschicken. Des Weiteren habe ich entschieden, ein kleines, unterdrücktes Niesen hinter einer perfekt und bombenfest (natürlich! Ich mach mich jetzt schließlich nicht zur Kriminellen!) sitzenden Mund-Nase-Bedeckung schlichtweg zu ignorieren. Äh, nein, nein, das war jetzt natürlich nur Spaß. Ich entscheide nix mehr selbst. Alle, die auch nur ansatzweise das Näschen hochziehen, werden sofort unmissverständlich zur Tür begleitet. Brav notiere ich Tag für Tag den aktuellen Inzidenzwert (wenn wir die 100 bald erreicht haben, köpf ich eine Flasche Sekt!!! Hurra!) auf die Tafel mit der "roten Ampel".

Außerdem gibt es neben dem permanenten Desinfizieren der Hände, Tische, Stühle und Türgriffe, dem zusätzlichen Reiben und Rubbeln der Handober- und Innenflächen (Wir gehen alle als Zwangsneurotiker aus dieser Krise! 30 Sekunden! 30 Sekunden!), dem 1,5-Meter-Abstand (funktioniert bei Kindern im geschlossenen Raum hervorragend! Alle halten sich dran! Aber klar! Alles legal, Leute! Ich schwör!) ja noch eine zusätzliche, ganz neu erfundene Wunderwaffe gegen Corona: Stoßlüften! Ich wette, das Wort gibt es mal wieder in keiner anderen Sprache außer im Deutschen: Stoßßlüffften, alle fünfundvierrrzik Minuten, Kamerrraden! 

Verankert im aktuellen Rahmenhygieneplan des Kultusministeriums sorge die Stoßlüftung für ausreichenden Luftaustausch, so dass sich Aerosole nicht verbreiten können. Nee, is klar. Dass Forscher wie z.B. Christian Kähler, Professor am Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik der Bundeswehruniversität München, die Aerosolbelastung in Räumen vor und nach dem Lüften gemessen und dabei festgestellt haben, dass bei dieser gängigen Praxis eigentlich so viel passiert, als würde man, sagen wir mal, am Boden herumliegende Viren mit dem Besen rauskehren... aaaach, kommt schon. Nach dem Stoßlüften jedenfalls sei "fast nichts raus aus dem Raum. Das ist die Realität, das muss man sich klar machen", sagt Herr Kähler. Macht doch aber nix! Das Kultusministerium hält jedenfalls am Lüften fest, weshalb die Schüler ab sofort mit Decke im Unterricht sitzen...

Und bevor mich hier jemand in irgendeine bitterböse Ecke schubst, weil es die Dinge dann einfacher macht, oder weil wir alle davon abgekommen sind, differenziert zu denken... oder überhaupt!... ich führe alle Anweisungen aus, setze jede Regel um, halte mich an alle Empfehlungen sämtlicher Institute und Ministerien! Ich sorge dafür, dass die Kinder sogar im Freien ihren Mundschutz tragen! Inzwischen verpetzen sie sich sogar gegenseitig, gut so, meine kleinen Stasi-IM's! Außerdem bin ich die Meisterin der Stoßlüftung - alle 20 Minuten scheuche ich höchstpersönlich die fiesen kleinen Aerosole aus dem Raum!!! Mit dem Badminton-Schläger! Alles äußerst diszipliniert, effektiv und geregelt! Okay? 

Nur manchmal, so ganz klammheimlich... ertappe ich mich dabei, wie ich ganz leise, wenn keiner zuhört, vor mich hin murmele: "Greg's Tagebuch, Teil 1" (den Zusatz "Von Idioten umzingelt!" traue ich mich natürlich nicht, laut auszusprechen, geschweige denn, überhaupt zu denken...! Würde ich nie tun! Niemals!). Und wenn am 3. November der größte von allen auch noch die Wahl gewinnt... ich weiß es nicht, oh Gott, ich weiß es einfach nicht. Aber es ist bestimmt auch für Amerikaner beruhigend, sich in diesen unsicheren und nervenzermürbenden Zeiten so richtig geschützt, geborgen und sicher zu fühlen. 

Denn wenn dem nicht so wäre, müsste man ja über gewisse Dinge nachdenken. Und wo kämen wir hin, wenn wir auch noch anfingen, unbequeme Fragen zu stellen, nicht alles über einen Kamm zu scheren, nicht entweder-oder und schwarz-weiß, sondern differenziert und womöglich sogar selbstverantwortlich zu  denken und zu handeln? 

Am Ende müssten wir sogar anerkennen, dass alle anderen auch nur mit Wasser kochen, im Grunde niemand wirklich weiß, was wir tun oder lassen sollen und wie es weiter geht, selbst der Söder und der Drosten und das gesamte RKI nicht, wir endlich damit aufhören sollen, zu glauben, dass es in dieser Situation irgendjemanden oder irgendetwas gäbe, der oder das uns schützen könnte - und es keine Sicherheit gibt außer der, die wir in uns selbst tragen.

Dummerweise macht das die Sache eher kompliziert, weil man dann ja keinen Schuldigen mehr hat, auf den man alles abwälzen kann. Nicht die Urlauber, nicht die feierwütige Jugend, nicht die Ausländer. Noch nicht mal die Politiker! Mist! Übrigens halte ich mich selbst ja auch nicht an mein Wort, denn eigentlich hab ich mal gesagt, ich schreib und poste nix mehr über das böse C-Wort... aber, hey, was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an? Manchmal muss es halt doch raus. 

Ironisch oder gar sarkastisch bin ich übrigens auch nicht. War ich nie und werde ich nie sein. Nur für's Protokoll.

Und damit dieser Text nicht in einer Art "Friedhofsstimmung" endet... das schöne grüne Wolltuch, das ich heute trage, und die tollen Ohr-Clipse (ein Tipp für alle wie mich, denen Ohrstecker nach einer Zeit weh tun) sind vom Online-Shop DA SEMPRE. Ich muss sagen, so banal es klingt, all diese schönen, kunstvollen, ästhetischen, wohlgeformten und/oder gemütlichen Dinge aus diesem SHOP muntern mich einfach auf. Selbst in Zeiten wie diesen! 

Und so lange es noch solch Schönheit gibt, gibt es noch Hoffnung! Und so lange es noch Hoffnung gibt... wird der Riesenidiot vielleicht doch nicht die Wahl gewinnen! Lasst uns ganz fest daran glauben, alle zusammen!!! 

Und schaut mal bei Sieglinde vorbei... 

OUTFIT:

Rock: Hallhuber

Top: COS

Schuhe: Gabor

Blazer, Sonnenbrille und Tasche: alt

Tuch und Ohrringe: DA SEMPRE

LOCATION: der wunderschöne WALDFRIEDHOF in München

Wir treffen uns hoffentlich wieder am nächsten SONNTAG mit:

"COLOUR ENERGY"

ROT

Glaubt mir, die Farbe hat ganz viel mit der augenblicklichen Situation zu tun...!