Sunday Colours: Constant Craving

WERBUNG! Natürlich unbezahlt. Eh klar.

Neulich erzählte mir ein übergewichtiger 8jähriger Junge in meiner HPT, dass er und seine beiden Brüder zu Hause jeweils einen Schoko-Nikolaus bekommen hatten. Zuerst habe er seinen eigenen verspeist und dann: "Mein einer Bruder war nicht da, also...", dabei sah er mich mit großen, treuherzigen Minion-Augen an, "...hab ich seinen Nikolaus auch noch ge-esst!"

Daran muss ich immerzu denken, wenn ich jetzt in der schönen Adventszeit mal wieder um den Keksteller schleiche. Was ich mir nämlich das ganze Jahr über verkneife, bricht regelmäßig zur Vorweihnachtszeit virusartig (Sorry, aber trotz Covid-19 gibt es eben das Wort!) aus. Und zwar scheinbar nicht nur beim kleinen Minion und mir, wie ich durch die Suchtmedizinerinnen Dr. Shird Schindler und Dr. Iris Zachenhofer erfahren habe. Diese schreiben in ihrem Buch "Abnehmen für hoffnungslose Fälle" beispielsweise: "Mit Ihnen ist so weit alles in Ordnung". Und: "Sie sind nicht süchtig".

Puh! Nachdem ich mir den Schweiß von der Stirn und die Schokokekskrümel vom Pulli gewischt habe, atme ich erleichtert auf! Okay, beim Ausatmen fliegen noch ein paar Schokoladenstückchen mit raus, aber hey! Mit mir ist alles in Ordnung! Ätschi-Bätschi! Heißt, wenn ich es einfach nicht schaffe, am Plätzchenteller vorbei zu gehen ohne mir eins davon in den Mund zu schieben, ts, na und? Ich bin nor-ma-hal! Ha! Eat this!!

Deshalb hat mich die Aussage des Jungen so gerührt. Und deshalb schäme ich mich jetzt auch nicht, es zuzugeben: ich würde auch den Nikolaus meines Bruders essen! Na klar! Selber schuld, wenn er nicht da ist! Das ist ja auch der Grund, weshalb ich weitgehend komplett auf Zucker verzichte. "Weitgehend" heißt in meinem Fall: von Januar bis Mitte November. Pünktlich zum Advent ist es allerdings vorbei mit der Selbstbeherrschung. Denn dann kommt's knüppeldick von allen Seiten: all diese lieb gemeinten Geschenke wie Pralinenschachteln, Schokoherzchen, Nikoläuse, Adventskalender-Gaben, Lebkuchen und das sich gefühlt über Wochen hinziehende Plätzchen backen... das ist ganz bestimmt schön und toll und richtig heimelig für die Kinder und alles, ja ja.

Aber mal ehrlich, gerade jetzt wär Homeoffice wirklich was Feines, denn bei mir zu Hause findet sich kein einziges Gramm vom gefährlichen "Stoff". Ganz simpel: was ich nicht habe, steht nicht zur Verfügung! Und wäre es da, wäre es ganz schnell wieder verschwunden - die reinste Zauberei! Aus der Suchtmedizin weiß man ja, dass es einfacher ist, das Suchtmittel ganz zu vermeiden als sich ständig "einzuschränken". Weil Kontrolle eben in den seltensten Fällen funktioniert. 

Also doch Sucht? Oder Genetik? Ich glaube, nicht nur der Körperbau und die Tendenz zum Dick- oder Dünnsein, sondern auch die Tendenz zum "Craving" wird vererbt. Das Wort "Craving" wird im Fachjargon gerne auch für Schoki-Gelüste verwendet und bedeutet nix anderes als das stete, so verdammt schwer zu überwindende "Verlangen nach dem Stoff". Ob das nun Nikotin, Alkohol, Heroin, Cannabis oder eben Gummibärchen, Kekse oder Chips sind, spielt im Grunde keine Rolle. Nur: es gibt (noch) keine wissenschaftlichen Suchtdiagnosen für Essen, daher ist es laut den Fachleuten eben keine. 

Dabei lassen selbst Laborratten für Zucker alles andere stehen. Es stimmt. Selbst Kokain oder Heroin werden dafür verschmäht - auch dann, wenn sie von diesen Drogen bereits vorher "genascht" hatten. Und trotzdem: ich glaube, es gibt Menschen, denen es tatsächlich leichter fällt, sich zu disziplinieren. Oder die einen hervorragend funktionierenden Stoffwechsel haben/ beim Essen ohnehin eine Stunde lang auf dem Teller herum picken, um dann an drei Erbsen zu lutschen/ schon immer schlank waren, es immer sein werden und/oder die ohne ihr tägliches mehrstündiges Sportpensum nicht leben können. Hab gehört, es soll Leute geben, die ein Stück 85prozentiger dunkler Schokolade mit einem Achtel edlen Rotweins (an dem sie erst einmal eine Ewigkeit herum schnüffeln, bevor sie einen Schluck langsam im Munde zergehen lassen... genauso wie das Stück Schokolade!) genießen können.

Okay. Schön, schön. Applaus, Applaus und herzlichen Glückwunsch! Ich bin ja unendlich tolerant und hab überhaupt nix gegen diese Menschen. Das einzige, was ich mir wirklich wünschen würde, wäre: tut doch nicht immer so verdammt selbstverständlich, als wäre es ein Leichtes, nach dem Stück Schokolade und dem Gläschen Rotwein wieder aufzuhören (und statt dessen für zwei Stunden um den Privatsee vor der Haustüre zu joggen oder so...)! Als wäre es für jeden machbar, sowas wie Schokolade überhaupt in Reichweite zu lagern. Und als wären Menschen, die daran kläglich scheitern, undisziplinierte Barbaren und Versager, die sich einfach nur mal ein bisschen zusammenreißen müssten!

"Mangelnde Disziplin bei der Kontrolle des Essens ist nicht einfach persönliche Schwäche", führen Dr. Schindler und Dr. Zachenhofer aus. "Sie ist auch Folge einer Strategie der Lebensmittelindustrie. Die zielt mit Hilfe neurochemischer Erkenntnisse bewusst darauf ab, unsere Selbstkontrolle außer Kraft zu setzen. Sie stellt Produkte her, die uns manipulieren wie Drogen". 

Von diesen Worten beflügelt, hatte ich die grandiose Idee (nachdem mir kürzlich zu allem Elend auch noch eine hübsche Keksdose aus Porzellan geschenkt wurde), ein paar "gesunde" Sesam- und Schoko-Chiakekse hineinzufüllen. Zum Kaffee. Zur Tasse Tee am Abend oder einem Gläschen Wein - ähem! Einen oder zwei. Langsam drauf herumkauen und so. Mit Genuss. Ihr wisst schon. So hab ich mir das jedenfalls vorgestellt.

Die Wahrheit ist ein banales Elend und soll hier keine Erwähnung finden. Jedenfalls befindet sich außer ein paar kläglicher Krümel nix mehr in der Keksdose. Werd sie künftig wohl mit Zwiebeln oder Knoblauch füllen 😁. Im Januar dann. Im Moment ist's eh schon egal. In der Arbeit liegen einfach noch zu viele Schoko-Präsente der Eltern, Kooperationspartner und wohlmeinenden Menschen, die glauben, wir bräuchten "Nervennahrung" ohne Ende, auf dem Tisch im Büro. Und jedes Mal, wenn ich zum Kopieren, Ausdrucken, Schreiben, Telefonieren oder sonstigen Tätigkeiten dort vorbei schleiche... hm. Man glaubt ja gar nicht, wie oft man so am Tag dringend etwas aus diesem Raum mit dem Tisch voller Schoki braucht.

OUTFIT:

Strick-Kleid: Otto

Mantel, Strumpfhose, Sonnenbrille: alt

Schuhe: Tamaris

Tasche: aus Gran Canaria

Woll-Tuch und Kette (als Armband getragen): Da Sempre

LOCATION: umme Ecke (nicht weit von der Keksdose)

Und für alle, denen es ähnlich geht wie mir, empfehle ich ab Januar 

(nach der Weihnachts- und Corona-Völlerei) 

das BUCH:

und den "ORIGINAL-SOUNDRACK" 😁: