COLORI DEL MONDO: IL LAGO

Ich liebe die Gegend um den Gardasee, seit ich in den Neunzigern nach München kam und erstmals den großen Zeh ins erfrischende Nass von "Münchens Badewanne" getaucht hatte. Im Norden ist die Landschaft eher rau und man ist umgeben von Fels und Gebirge, beispielsweise dem stattlichen, meist schneebedeckten Monte Baldo. Im Süden findet man hingegen eine liebliche, mediterrane Landschaft mit Zypressen, Pinien und Olivenbäumen vor. Die schmucken kleinen Orte, welche so malerisch um den See herum eingebettet liegen, zum Beispiel das lebendige Desenzano, das allerliebste Limone oder das pittoreske Lazise, nicht zu vergessen das ganz im Süden auf einer wunderschönen Halbinsel gelegene Sirmione, wo es meiner Meinung nach das beste Eis in ganz Italien gibt, sind einfach nur bezaubernd.

Desenzano

Desenzano

Desenzano

Lazise

Lazise

Sirmione

Sirmione

Sirmione

Gelateria in Sirmione

Sirmione

Aber auch die im Hinterland gelegenen Dörfer wie Borghetto sind so malerisch, dass es einem oft fast die Sprache verschlägt. Hab ich was vergessen? Ach ja... vielleicht die Nähe zu solch berühmten Städten wie das strahlende Verona und weniger berühmten, aber nichtsdestotrotz herrlichen wie Brescia oder Mantua... und, wenn man das Reisegebiet etwas erweitern und kulturell ausdehnen möchte: direkt von Peschiera oder Desenzano aus bringen einen Regionalzüge in kürzester Zeit nach Venedig oder Mailand!

Borghetto...

...di Vallegio...

...sul Mincio

Irgendwie erinnert diese Gegend noch an das "Bella Italia" der westdeutschen Eltern und Großeltern, also der Generation, die in den Wirtschaftswunderzeiten erstmals im VW-Käfer über den Brenner geächzt und hier hängengeblieben sind (schon allein, weil ihre Karren es kaum weiter schafften). Das gelobte Land, wo die Zitronen blühen, wo Kerzen in strohumwobenen Lambrusco-Flaschen stecken, die in den Trattorien auf rot-weiß karierten Baumwoll-Tischdecken thronen. 

Gäbe es für mich sowas wie ein Landschaften-Ranking, dann stünde die Gardasee-Gegend mit Sicherheit an sehr hoher Stelle! Erwähnenswert ist in jedem Fall auch, dass man hier unendlich vielen Aktivitäten nachgehen kann, wenn man das möchte: der See bietet sowohl Surfern als auch Schwimmern genug Spielfläche, und auch an Land kann man sich austoben: Radeln, Wandern, durch pittoreske Orte flanieren.

Radweg am Flüsschen Mincio

Auch der Genussmensch kommt hier voll auf seine Kosten: Trüffel und Tortellini (kommen hier aus der Gegend), Bardolino und Limoncello (dito), der echte Mozzarella di Bufalo, Parmiggiano, Oliven, Zucchini, Auberginen, aromatische Flaschentomaten und... und... und. Man braucht dafür keine Unsummen hinzulegen, in Italien kauft man regionale Produkte günstig, besser gesagt, "wertig", ein. Schlechtes Essen zu Billigpreien im Discounter ist eh eine typisch deutsche Erfindung.

Leider gibt's bei all den Aufzählungen und Schwärmereien einen klitzekleinen Haken. So sehr ich nämlich die Gegend um den Gardasee liebe... umso weniger liebe ich, ehrlich gesagt, die Menschen, welche sie - unberechtigterweise, wenn Ihr mich fragt! -  so grausam "in Beschlag genommen" haben. Und zwar weder die klassischen Touristen noch die die typischen Nord-Italiener. Zum Glück, hab ich mir sagen lassen, sterben beide Spezies aus (aber noch merkt man nicht viel davon...). Oh Schreck, oh Graus: jetzt isses raus, ich hab's gesagt! Der Shitstorm möge auf mich darnieder prasseln: waas, aber du bist doch selbst Touristin, waas, aber ich war auch schon am Gardasee, waaas, aber die Italiener sind doch so charmant...?

Gaaanz ruhig, Leute. Stimmt ja auch alles (außer das mit dem charmant). Aber das andere stimmt eben auch. Und Sorry, nein, ich lieb ihn nicht, meinen biersaufend vorm Wohnmobil hockenden deutschen Nachbarn auf dem Campingplatz, der seit 20 Jahren hierherkommt, aber Peschiera und Brescia noch immer nicht mal richtig aussprechen kann. Ehrlich gesagt rolle ich ständig - gemeinsam mit den Italienern - die Augen über die pizza-essenden, Socken-in-Sandalen tragenden (nein, ich spreche natürlich nicht von Glitzersöckchen in Fashion-Sandaletten!), unsicheren, sich oft einfach zu dämlich anstellenden Deutschen und freu mich, wenn ich von Einheimischen auf Italienisch angesprochen werde (was durchaus vorkommt)..

Aber wenn ich so drüber nachdenke, lieb ich den stereotypen Italiener auch nicht (Scusi, den gibt es leider noch!), der es selbst im Jahr 2022 nicht nötig hat, mit seinem fetten SUV am Zebrastreifen anzuhalten, um den Abschaum von Fußgänger und Radfahrer hinüber zu lassen. Zu 95 % sind es die Deutschen, die am Zebrastreifen stehen, die Einheimischen sitzen entweder im Auto oder ziehen in todschicker perfekter Sportkluft auf dem 8000-Euro-Rennrad lässig am SUV vorbei! Oder sie "walken" ein bisschen (glaubt mir, ich hab's gesehen!) an der Seepromenade entlang... vom Scheitel bis zur Sohle tip-top gestylt, mit goldenem Glitzer am Sportschuh und schickem Gucci-Gürtelchen für Smartphone und Schrittzähler! Radfahren oder "Wandern", um von A nach B zu gelangen? Gar aus Umweltschutzgründen? In den selben Klamotten ins Restaurant oder durch die Innenstadt flanieren, die man soeben auf dem Bike noch anhatte? Um Himmels Willen! 

Kurz gefasst, könnte man also sagen, dass die wohl nicht auszurottende Überheblichkeit des trendy Italiano täglich auf die tumbe Verbissenheit des hässlichen Deutschen trifft - und beide spielen am Zebrastreifen das uralte Spiel: wer zuerst blinzelt, hat verloren. Natürlich verliert immer der Deutsche. Na ja, besser die Augen senken, als sich auf Machtspielchen einzulassen, wenn sie dich bedrängen, ausbremsen, beinahe übern Haufen fahren, bedrohen. Äh... ich spreche natürlich von italienischen Autofahrern - oder was habt Ihr jetzt gedacht? 

Ach soooo... nein, nein, die neue italienische Regierung unter Signora Mussolini, äh, ich meine natürlich Meloni, haach Gottchen, diese italienischen Namen hören sich doch alle sooo ähnlich an! - hat überhaupt nix Bedrohliches! Die reinste Protestwahl, wir wollen ja nur mal "denen" einen kleinen Schrecken einjagen... wobei ich mich halt schon immer frag, wie der "italienische Wähler" per se so tickt, mal wählt er links hinten, dann wieder ganz rechts außen ... tja, und ruck-zuck erheben sie sich wieder aus der Versenkung, als wären sie nie fort gewesen, die guten alten Faschisten. Ts, ts.

Und falls jetzt die ein oder andere Leserin sich beim flüchtigen Gedanken ertappt, na ja, immerhin mal eine Frau: ääääh... ja, schon! - aber eben eine, die den Rest der weiblichen Bevölkerung liebend gerne wieder da hätte, wo sie hin gehört: zuerst in High Heels am starken Arm ihres Gatten über altes Kopfsteinpflaster geschleift oder im SUV herumkutschiert werdend, später dann als gebärfreudige und Tortellini ai funghi porcini bereitende Mamma hinterm Herd schwitzend.

Oje. Tut mir wirklich Leid. Aber dass aus einem harmlosen Colours-of-the-World-Post jetzt so ein pampiges Pamphlet wurde, liegt einzig und allein daran, dass ich diesen Landstrich wie mein zweites Zuhause liebe! Deshalb hat er diese ganzen Idioten einfach nicht verdient! Der Lago selbst kann schließlich nix dafür, dass ein Mussolini (diesmal der echte!) zu Lebzeiten eine Villa in Gardone (am Westufer) bezogen hatte. 

Er kann nix für neureiche Russen, die sämtliche zu-Tode-sanierte Luxusapartments in erster Reihe Uferlinie aufkaufen, er kann nix für Korruption, tägliche Staus, Fast-Fashion-Fabriken in chinesischer Hand, afrikanische Händler, die doch bestimmt keinen müden Cent mehr mit dem Verkauf von Billig-Kopien der Designer-Sonnenbrillen verdienen. Er kann nix für biersaufende Wohnmobilisten, feierwütige Bananenbootfahrer und schon gar nix für bedrohliche Neo-Faschisten. Das alles ist menschen-gemacht. Und Menschen sind ja irgendwie immer das Problem, nicht wahr?

So still, so schön, so unbeeindruckt liegt er da, umgeben von felsigen Gardaseebergen, pittoresken Ortschaften, malerischen Landschaften, Pinien, Zypressen und uralten knorrigen Olivenbäumen... wenn die reden könnten! Was die wohl erzählen würden?