Sunday Colours: Leben in der Kleinstadt
Seit drei Wochen bin ich nun also hier in ausgerechnet der Kleinstadt, in der ich meine Jugend und Adoleszenz verbracht habe - in derselben Wohnung, in der ich auch damals schon gewohnt habe. Da werden zwar ab und zu Erinnerungen und die damit verknüpften Emotionen geweckt, das ist aber voll okay. Ein Beweis dafür, dass tatsächlich nicht alles schlecht war... und vor allem dafür, dass ich halt doch inzwischen längst erwachsen bin. Na ja. Zumindest geb ich mein Bestes, es so erscheinen zu lassen... 😂.
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Ab und zu geht's auch raus aus der Kleinstadt - in die nächstgrößere: Heidelberg |
Hmmm, was ist noch typisch für die Kleinstadt... genau: es ist total verrückt, wie viele Leute ich "von früher" noch kenne, obwohl ich schon damals eigentlich nicht so der soziale Typ war - dabei hab ich noch nicht mal meine gesamten Kontakte "reanimiert". Der Witz ist: diese Leute haben auch noch Zeit für einen! In der Großstadt undenkbar. Überhaupt ist der Begriff "Zeit" in der Kleinstadt recht dehnbar... die Menschen scheinen hier auch immerzu ein Schwätzchen halten zu wollen - und sind dabei zu allem Überfluss auch noch richtig freundlich. Ha, keiner soll mir ab sofort mehr einreden, es läge an mir...!
Sogar im menschenleeren Bürgerbüro, wo ich mir ein paar zusätzliche Wertstoffsäcke für schlappe 27 Euro - mit denen wird hier gedealt wie mit Drogen, ich sag's euch! - gegönnt habe. Der freundliche Info-Mitarbeiter erklärte mir ausführlich, dass ich eine Nummer ziehen und warten sollte, bis diese im Display erschien, dann könne ich am zugewiesenen freien Platz die Säcke erstehen. Da außer mir allerdings keiner da war, ging das Ganze natürlich recht fix... auch, wenn ich an der Müllsackausgabestelle dann doch etwas länger warten musste, bis der junge Mann mir 6 grüne und 3 rote Säcke abgezählt hatte... gäääähhhn! Schnaaarch! Ommmmmm.
Tja, und sonst so. Es ist alles immer so still hier. Die nette Nachbarin von ganz oben, deren Vorname ich bereits kenne und die meinem Vater immer die Mülltonnen mit rausstellt, beschwerte sich bei mir erst kürzlich über den "Lärm" von draußen. Besonders im Sommer sei es wegen der zentralen Lage und der angrenzenden Cafés unerträglich. Der Wahnsinn! In der warmen Jahreszeit sitzen hier tatsächlich Menschen bis 22 Uhr im Eiscafé gegenüber und... äh, existieren. Un-er-träg-lich! 😂
Dann ist mir noch aufgefallen, dass es in der Kleinstadt zwar keine wesentlichen "Stadtviertel" oder gar "Brennpunktviertel" gibt - aber dennoch eine so genannte "Dorf-Konkurrenz", bei der bestimmte Ortschaften als "besser" oder "schlechter" gewertet werden - je nachdem, wer wo wohnt, schielt schon mal neidisch oder überheblich auf die Leute im anderen Ort. Für mich ist sowas echt pillepalle und Luxusproblem... genau wie auch die Wertung von Entfernungen. Nehmen wir mal als Beispiel die nächste wirklich ernstzunehmende Großstadt hier in der Gegend, Mannheim. Für mich ist Mannheim quasi um die Ecke - in 43 Minuten mit dem Regionalexpress zum dortigen Hauptbahnhof ist ja wohl wirklich nicht der Rede wert, oder?
Wenn man hingegen die Kleinstädter fragt, oh doch! Die große Stadt ist nahezu unerreichbar. Und das, meine Lieben, liegt einzig und allein an der Tatsache, dass der stereotype Kleinstädter per se einfach nicht gerne die gewohnte Umgebung verlässt, trotz Deutschlandticket und S-Bahn im 30-Minuten-Takt, trotz Regionalexpress und (wieder-)ausgebautem Verkehrsnetz. Das hat sicher ganz viel mit Grenzen und Be-grenzung zu tun und ist einer der vielen Gründe, weshalb ich einst in die Großstadt geflohen bin.
Inzwischen ist mir aber eh klar, dass man überall sein, sich an jedem Ort wohl und Zuhause fühlen kann, wenn man frei ist. Und meine wertvollste und schönste Erkenntnis aus den letzten Wochen ist unter anderem auch, dass ich zwar noch immer nicht "frei" von Emotionen bin, die mich plötzlich sozusagen aus dem Nichts überfallen, tief in der Seele treffen und mich komplett umhauen für den Moment - aber die Fallhöhe ist einfach nicht mehr so tief, weil ich gleichzeitig eine wohltuende, gelassene Sicherheit in mir trage, dass mich auch das nicht aus der Bahn werfen wird.
Liebe Maren,
AntwortenLöschenich sehe gerade dich und mich in Parka, Jeans und schwarzen Boots abends durch die Kleinstadt ziehen, sich vor den Kneipen rumdrücken und dann in die stickigen, rauchgeschwängerten zu gehen und g**** Mucke hören. Glory Days. :-)
Schön hast du es dir gemacht und deine sozialen Kontakte wieder aufleben lassen. Das ist halt das schöne und manchmal das erdrückende an einer Kleinstadt, jeder kennt jeden. Aber meistens finde ich es gerade schön, man geht durch die Stadt, trifft den oder die, usw.
War in " Like a complete unknown". War schon schön zu sehen, obwohl ich sicher nicht der größte Bobby Fan aller Zeiten bin. Gut gespielt. Mein Oscarfavorit.
Liebe Grüße und grüß mir die alten Songrecken,
Claudia
Heidelberg sieht mal mega trostlos aus. Das Wetter war in letzter Zeit aber auch sehr grau. Ich hoffe Du hast Dich in einem der Cafés mit Kuchen verwöhnt.
AntwortenLöschenDie selbst gesetzte Begrenzung findet man ja in allen Lebensbereichen.
Freust Du Dich über die alten Kontakte? Ich musste oft feststellen, dass man sich doch sehr unterschiedlich entwickelt hat und die Gemeinsamkeiten und das Interesse von früher nicht mehr da sind. Dann ist es eher anstrengend sich zu unterhalten.
Wir sind Erwachsen und nicht abhängig von den Eltern. Das macht viel freier, wenn Erinnerungen aufkommen. Deine Beiträge bestätigen meine im Urlaub gefällte Entscheidung, kein Urlaub mehr mit meiner Mutter.
Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag, liebe Grüße Tina
Grins: Der "Niveau"-Spruch! 😂😁
AntwortenLöschenLiebstige Maren,
ich nehme alles zurück, was ich in der Mail geschrieben habe (oder jedenfalls einen Teil davon) - ich denke, an der ganzen Sache ist doch etwas dran, das dir gut tut. Eine Art Versöhnung mit der Vergangenheit oder ein Blick von außen auf die Maren und ihr Leben von damals. Das hat schon was und zeigt, wie weit man seit damals gekommen ist. Vielleicht nistest du dich ja doch noch dauerhaft ein in der immer gemütlicher werdenden (und verhältnismäßig großen) Wohnung, wer weiß... 😊
Ich war ja immer mehr so der Kleinstadt- oder eher Land-Typ und musste in Wien aufwachsen und bin dann (viel zu) lange dort geblieben. Dadurch kenne ich auch das Wohnen (und die damit einhergehende Geräuschkulisse) in Wohnungen sehr gut. Aber glaub mir, in einem Garten, wenn er nicht irgendwo auf einem einsamen Hügel liegt, kriegt man zuweilen auch mehr von den Nachbarn mit, als einem lieb ist 😉
Mannem ist nur eine Dreiviertelstunde von dort weg? Das würde ja regelrecht nach einem Tinatreffen schreien!
Alles Liebe, feste Drückers und ich wünsch dir einen schönen März, Traude
https://rostrose.blogspot.com/2025/02/weltreise-2024-reisegarderobe-resume.html
Das Kleinstadtleben hat Vor- und Nachteile, die Menschen sind nicht nur nett sondern auch extrem neugierig. Da vermisse ich manchmal glatt die Ruhe, die man in der Großstadt hat. Die fühlt sich hier auch nur so extrem weit entfernt an, weil sie dank dünn getacktem Fahrplan teilweise schlecht zu erreichen ist. Und die Bahn mit ihren Ausfällen aus einem Kurztrip gerne mal einen Horrortrip macht 😉.
AntwortenLöschenLachen musste ich sehr über deine "nächtliche" Musikeskalation. Auch abseits der Großstadt lebt es sich nicht immer so entspannt. Ich weiß unser freistehendes Häuschen aus dem Grund sehr zu schätzen. In der vorherigen Wohnung mussten wir nachts die Heizung komplett ausstellen, da mein unter uns wohnender Onkel sonst nicht schlafen konnte. Wenn er allerdings schlafen konnte, dann hat er so laut geschnarcht, dass das gesamte Reihenhaus etwas davon hatte. Bei jedem seiner längeren Atemaussetzer lagen wir wiederum wach und haben bangend auf das nächste Schnarchen gewartet. Heute sind es Hühner und Flugzeuge, die wir gekonnt überhören - irgendwas ist immer.
Die folierten Schränke machen richtig was her. Die Wohnung wirkt gleich viel heller und frischer. Da kann sich die graue Stadt gleich mal ein Beispiel nehmen und mal langsam in die Frühlings-Puschen kommen!
Liebe Grüße!
Sehr wohnlich ist alles geworden, liebe Maren und so kannst Du es dort nun recht gut aushalten. Auch die Kleinstadtmentalität hast Du voll durchschaut und kannst gut damit umgehen für Deine temporären Aufenthalte.
AntwortenLöschenIch komme ja vom Dorf und bin am Gymnasium in der Kleinstadt gewesen. Never ever bringt mich jemand nochmals dorthin zum Wohnen. Seit fast 50 Jahren lebe ich in der Großstadt - mit anfangs häufigen Umzügen bis das Stadtviertel für mich stimmte... Besonders, wenn man älter wird, ist die Stadt einfach wunderbar. Es gibt u.a. Kultur, Kunst, internationales Essen und nicht zu vergessen Ärzte für alles. Das ist auf dem Land und sogar in der Kleinstadt nicht mehr so.
Heidelberg schaut ein bisschen uncharmant aus im Februar, muss ich sagen. Und dass die Menschen auf dem Land eine 3/4 Stunde Öffi-Fahrt als untragbar lang empfinden, kenne ich auch.
Wir waren am Wochenende in Berlin, weißte Bescheid!! Und noch dazu mit Streik...
Ich nehme an, Deine letzte Woche dort ist angebrochen und ich wünsche Dir sehr, dass Du noch einiges Schöne einsammeln kannst, damit die ganzen Strapazen sich gelohnt haben.
Herzlich,
Sieglinde
Oh, Heidelberg, eine Autofahrstunde von meinem Geburtsort in Bad. Sibirien entfernt! Aus meiner Großstadt-Sicht nach 64 Jahren: hübsch, aber sehr provinziell. Mal schön als Touristin. Ich möchte nicht mehr anders leben als in einer Metropole, die ja auch immer untergliedert ist in ihre kleinen Biotope namens Veedel.
AntwortenLöschenToll, dass du diese furchtbaren Gardinen entfernt hast! Ich hatte mich schon gewundert... Auch, dass Farbe eingezogen ist, tut der Wohnung gut. Deine Lust auf laute Musik kann ich nachvollziehen, ist aber inzwischen kein Anliegen mehr. Bei meinen Nachbarn auch nicht, denn wir sind hier alle gemeinsam in die Jahre gekommen. Aber momentan freue ich mich über den Kinderlärm im Haus. Still kann ich wieder nach Karneval.
Weiterhin gutes Vorankommen mit deinem Projekt!
Kölle Alaaf!
Astrid
I agree, one can feel comfortable anywhere, as long as one is free.
AntwortenLöschenYour home looks lovely.
Not having noisy neighbours, or not having too worry about neighbours that are too close is a great advantage.
I like in a house now, but I remember what it was like living in an apartment building.
There are definite advantages to having privacy, to not having to heart what your neighbours are doing and vice versa.
Both smaller and bigger cities have its advantages.
I see you're happy exploring this city.
Lovely winter styling.
Have a great Sunday!
Schön hast du es dir dort gemacht. Du hast das echt drauf das Wesentliche zu verändern, so das es dann doch wohnlich wird.
AntwortenLöschenInteressant was die Zeit in der Kleinstadt auch dir gebracht hat. Neben den Situationen die noch immer mitten hinein treffen, lese ich eine gewisse Leichtigkeit heraus. So als konntest du einiges loslassen.
Du bist großartig. <3 Liebe Grüße
Oh, die Erinnerungen an früher....und die Songs von damals. Es tut mir leid, daß ich alle alten Kassetten von damals schon lange entsorgt habe....und inzwischen soll es ja schon wieder Kassettenspieler geben. Da kann man schon ein bisschen schwelgen...und das mit einem oder zwei oder drei Gläschen runterspülen....Und schön hast Du die die Wohnung wieder etwas hergerichtet....Kleinstadt...na ja, ich kann mich nur mehr rudimentät an die Zeiten in Reutte/Tirol erinnern....aber da war ich zwischen 5 und 9...aber Innsbruck ist ja nur in der eignen Vorstellung eine Metropole...zumindest mitten in den Alpen. Aber aufgrund der vielen Studenten ist doch einiges los. Wünsche Dir noch eine schöne Zeit in der Vergangenheit.
AntwortenLöschenAlles Liebe
Violetta
Einfach schön hergerichtet. Ist ja schon eine Nummer von München in eine Kleinstadt. Eine nette Kleinstadt hat was aber die meisten sind ja heute eher verwaist und so ohne - fast ohne - Möglichkeiten von Kultur und Co und von den Öffis mag ich gar nicht reden.
AntwortenLöschenAber alles eine persönliche Sichtweise. Andererseits wenn einen die Vergangenheit einholt, aber es liest sich ja nicht schlecht von Dir.
Was Du mit Frei meinst kann ich nur zu gut verstehen. Nach dem meine Mutter vor 5 Wochen mal wieder gestürzt ist..... 86 wird sie und so stur wie alle Esel auf Santorin samt ihren Vorfahren auf dem Festland. Ich handle jetzt einfach sachlich was sie nicht will Pech gehabt. Es kommen hier halt wirklich Trigger hoch die mir nicht guttun. Zum Glück sind wir ja zu dritt. Und ja man weiß es aber irgendwie verdrängt man es auch solange es noch gut ging.
Als Kleinkind hab ich mal in einem Mehrfamiienblog gewohnt, ansonsten immer im eigenen Heim sowohl bei Eltern als auch nach der Heirat. Nur von dem einen Reihenhaus meiner Eltern, da kam die Maus von Nachbars immer über den Dachboden zu uns.
LG
Ursula
PS: Und das Graue ist sicher weg wenn es endlich Frühling wird und die Sonne scheint