...und nicht mal ein klitzekleines Feuerwerk am Himmel! Ja ja, schon klar, was gibt's inzwischen selbst überm Teich im so genannten Land der Freien auch bitteschön noch zu feiern? Und über welche Unabhängigkeit reden wir - hier und heute? Aber als ich so mit der Harley dem himmelblauen Retro-Fahrrad durch die hiesige Gegend knattere, fällt mir auf einmal alles wieder ein.
Wir befinden uns an diesem Ort zwar eher in der Nähe zur französischen Grenze, aber in meiner Jugend träumten die meisten vor allem den ihnen erfolgreich eingeimpften American Dream. Da lebten wir ja auch noch wortwörtlich unter den Fittichen des Big American Brother, zumindest aber als "51. State of America". Und das prägte ganze Generationen - wie mir heute erst so richtig bewusst wird.
Schon merkwürdig, mittlerweile selbst zum noch lebenden Zeitzeugen längst vergangener Geschichte mutiert zu sein. Wann, um Himmels Willen ist das denn passiert? Hab's irgendwie mal wieder nicht mitgekriegt.
Im Industriegebiet von Sinsinnati im mittleren (Süd-)westen hab ich wirklich schon in fast jeder Fabrik gejobbt, die dieses verdammte, gottverlassene Kaff zu bieten hat. Haha, versuche gerade, möglichst amerikanisch zu klingen. Grundgütiger! 😂 Da ich allerdings keinen Bock auf richtige Arbeit hatte, wechselte ich über zwei Jahre lang einfach jeweils nach 4 Wochen den Job. Hauptsache, ich hielt mich finanziell irgendwie über Wasser. Und nach Feierabend hing ich mit der Band in versifften Proberäumen mit leeren Eierkartons an den Wänden ab (das verstand man damals unter Akustik-Paneel!), trank Dosenbier, feilte an ein paar Songs und fühlte mich lässig und cool.

Nicht. Tief im Inneren fühlte ich mich logischerweise alles andere als cool. Und überhaupt saßen jede Menge Leute aus purer Verzweiflung in eierkartonverzierten Proberäumen, andere kifften sich ihre letzten drei Gehirnzellen weg, wieder andere fuhren in tiefergelegten Rennschlitten mit heulendem Motor in der Gegend herum, weil es so viel zu kompensieren gab aber nie etwas passierte. Wie auch immer konnte man unter den Umständen gar nicht anders, als Springsteen zu fühlen. Das klappt nämlich auch mit nur zweieinhalb Gehirnzellen hervorragend.

Amerikanische Verhältnisse herrschten jedoch nicht nur auf den Straßen von San Sinsisco: der ehemalige Besitzer des oberen Truck-Stops mit Stellplätzen, Raststätten, Tankstellen, Bar und Casino war logischerweise ein Bekannter. In Sin City kennt nämlich wirklich jeder jeden, und meine damals beste Freundin war die Schwägerin des Sohnes der Familie, und so durften wir als Teenies im Urlaub die Villa der Reichen und Schönen "hüten" - inklusive Riesendogge und Hallenschwimmbad. Klar, dass wir uns fast vorkamen wie in L.A. bei den Filmstars... 😂

Natürlich mag ich nicht ständig die Vergangenheit wieder aufwärmen, wer will das schon, und wer will das schon lesen - aber da ich gerade gezwungen war, fast fünf (!) Jahre Wochen meiner immer kostbarer werdenden Lebenszeit hier in Sinsville zu verbringen, sei es mir an dieser Stelle bitte gestattet, KEINEN Stolz darauf zu empfinden, was ich in der Zeit mal wieder alles gewuppt habe, sondern vor allem darauf, auch diesmal nicht komplett durchgedreht zu sein. Wollt's jetzt auch nur mal am Rande erwähnt haben.

Tja, in so einer Kleinstadt wird ja nicht nur blöd gegafft, sondern auch geredet, hatte ich irgendwie auch völlig verdrängt. Zum Beispiel darüber, wie arm dran mein Vater doch sei und wie wenig sich um ihn gekümmert würde. Dass man da doch endlich mal "was machen müsse", so gehe das doch nicht weiter. Ich dachte, ich sei längst drüber weg - aber manche der Aussagen fressen mich doch irgendwie an in letzter Zeit. Wie man damit umgehen kann, zeigt folgende kleine Auswahl an Möglichkeiten... 😂:
Interessant finde ich zudem, dass sich damals scheinbar niemand gefragt hat, warum die Kinder meines armen, "alleinerziehenden" Vaters beizeiten kein Teil seines Lebens waren - als hätten sie gar nicht existiert. Komisch, niemand hat sich je bemüßigt gefühlt, ihn vorwurfsvoll darauf anzusprechen, dass man da doch mal was machen müsse.
Mittlerweile wünschte ich mich ehrlich gesagt fast wieder in die komplette Nicht-Existenz zurück, denn heute scheinen leider alle zu wissen, wer ich bin: nämlich die lieblose, unfreundliche Tochter. Ha! Erst vor kurzem hab ich eine fremde Frau mit meiner Boshaftigkeit brüskiert, zum Stottern gebracht und in die Flucht geschlagen. Das kann ich nämlich ausgezeichnet!
Verständnis, Mitgefühl und aufopfernder "Einsatz" in Dauerschleife? Und zwar immer nur von mir... diese Erwartung, egal von wem, finde ich inzwischen anmaßend und übergriffig. Jawohl. Ich hoffe, ich muss euch an dieser Stelle nicht erst rechtfertigend erklären, dass ich mich selbstverständlich um meinen Vater kümmere, soweit es mir möglich ist, weil selbst ich in meiner egoistischen Gemeinheit es nicht schaffe, ihn einfach seinem Schicksal zu überlassen.
Die Weizenfelder außerhalb Sinssylvanias direkt neben der A 6 geben auch nur bedingt Trost, denn was kann man schon mit ihnen anfangen? Sie sind stinklangweilig, trist und öde, so wie einfach alles hier. "Your hometown... ?" Uäh, Grundgütiger, wie käm ich bloß dazu.
Übrigens, wer's immer noch nicht glauben will, dass wir uns in Sinsissippi befinden, hier der ultimative Beweis: Grizzlys! Direkt vor der Haustür! Scheint sich zudem um einen an Menschen gewöhnten Problembären zu handeln, so lässig, wie er das Namensschild des zuletzt Verspeisten hochhält. Von wegen Bären-Statistik und so. Tja, der arme Rudi...
Außerdem werdet ihr's nicht glauben, aber noch immer wird von der hiesigen Jugend das Konterfei der damals berühmten, grünäugigen Rock-Ikone Maren auf Bauwagen gesprayt... tja. Bin halt sozusagen die Patti Smith dieses Townships... okay, okay. Just kiddin'... trotzdem fühlte ich mich plötzlich ein bisschen, als würde mir mein jugendlicher Avatar begegnen und latent genervt über das alles hier die Augen rollen.
Noch eins. In Sinssouri gibt's natürlich die selbe Papiertüren-Bigotterie wie im großen Vorbild-Land. Werft doch bloß mal einen Blick auf das Info-Schild unten. "Alkoholfreier Parkplatz" - euer Ernst??? Na, zum Glück gab's sowas damals noch nicht. Wie bitte wäre man denn sonst am späten Abend nach Hause gefahren, nachdem einen die Leute besoffen ins Auto getragen hatten? Ts.
An dieser Stelle höre ich jedoch lieber auf und kehre zu meinem unfassbaren Glück wieder nach Hause zurück, in MEIN Leben. Beinah vergessen, da gab es doch noch eins... noch dazu ein einigermaßen heiles, selbst erschaffenes, mir allein gehörendes. Deshalb muss ich auch schnellstens wieder weg aus Pisstown Sinsloch diesem ätzenden Kaff mitsamt seinen nervigen Einwohnern ...na ja, kommt schon! Seid ihr doch mal wochenlang hier eingesperrt... 😂!
 |
Wusste gar nicht, dass DER auch schon S-Bahn fuhr... |
Und während am heutigen 4. Juli 2025 überm großen Teich im Land der Freien aus nachvollziehbaren Gründen auch viele Independence Day-Feiern abgesagt werden, wie mir zu Ohren kommt, pese ich mit dem himmelblauen Fahrrad durch die outskirts of Sinesota und es fällt mir auf einmal wieder ein, warum Unabhängigkeit und Freiheit die wichtigsten Güter überhaupt sind. Wichtiger als alles andere. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber das kann man gar nicht oft genug erwähnen.
Oha, das ist ja nicht zum Aushalten dort! Und dann noch als Tochter einer wohl stadtbekannten Persönlichkeit. Was sich die Leute einbilden, zu wissen, wie es in Familien ausschaut! Na Hauptsache, was druff! Die eigene miese Laune anderen vor die Füße knallen. Willkommen im Land der Unzufriedenen! Und weil es uns so schlecht geht, machen wir jetzt langsam, aber sicher, das ganze soziale Gebilde kaputt ( Beispiel: Freitag im Bundestag ).
AntwortenLöschenIn Anbetracht deiner Fotos konnte ich diese ganze miefige Provinzluft riechen. Ich liebe meine Großstadt. Ich hoffe, du hast dich nach M. gerettet.
Sonntagsgrüße!
Astrid.
Ach, die Leute wissen immer alles besser, eine der ersten Lektionen, die ich gelernt und nie vergessen habe :-))) Deshalb geb ich auch heute noch allen recht und nix drauf, was sie sagen.
LöschenBin hier sowas von abgeschnitten von sämtlichen Nachrichten, das glaubt mir keiner! :-)))
Ja, die Fotos sind stinklangweilig und öde - gut gelungen, gell? :-)))
Am Mittwochabend ist's endlich soweit... Munich here I come!
Auch Sonntagsgrüße,
Maren
Guten Morgen Maren, ich spüre es den amerikanischen Lifestyle, ja hier hatten wir ja riesige Kasernen und es war irgendwie klasse, brachten sie riesige Truthähne und Lifesavers nach Monnem. Großes Highlight war das Volksfest mit zuckrigen pink- grünen Torten, die man gewinnen konnte. Das Eis aus der Pappschachtel essen, Onionrings natürlich frittiert und jemanden per Balltreffer ins Wasser befördern. Platsch! Der Abschluss immer ein gigantisches Feuerwerk, wie es hier sonst nie gab. Das war mal ein 4. Juli! Wir trauern heute noch um dieses Fest und ich werde Lucia mal davon erzählen. Ob sie mir das glaubt?
AntwortenLöschenIch fühle mit Dir Maren. Die Leute sind da gern vorwurfsvoll, wie kann man als Tochter sich nicht völlig aufopfernd, alles aufgebend um seine Eltern kümmern?! Ich kenne diesen Vorwurf auch. Nun bin ich bei meiner Oma aufgewachsen, sie war meine Eltern. Und ehrlich diese emotionale Distanz zu den eigenen Eltern ist dann einfach da und schuldig werde ich mich sicher nicht fühlen. Genau wie Du das auch nicht musst. Du tust sehr viel, für mein Empfinden und ich weiß, dass Du es weißt. Aber ja es nervt, wenn man Dinge vorgehalten bekommt von Leuten, die es eigentlich anders wissen müssten.Oh ja armer Rudi.😞🤭
Du bist genial und hast einen tollen Humor.
Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag, liebe Grüße Tina
Hallo Tina, ja, das war in Monnem bestimmt klasse, glaubt einem ja heute kein Mensch mehr, dass wir so amerikanisch regiert wurden :-)))
LöschenDas Ding ist, dass ich emotional auch voll distanziert bin, es war okay, als meine Mutter jung starb (oh oh da war ich auch die Rabentochter...!) und es wird okay sein, wenn mein Vater stirbt - nur macht(e) das aus mir erst recht die Böse, kannst du dir vorstellen. Und mein Einsatz ist nur der Tatsache geschuldet, dass kein Heim meinen Vater aufnimmt und nicht mal ich es fertig bringe, ihn so dahinsiechen zu lassen... aber wenn es irgendeine Alternative gäb, ich würd sie sofort nehmen!
Danke <3
Wünsche dir auch einen schönen Sonntag! Liebe Grüße, Maren
Schau, schau, die coole Maren hat auch eine sehr lässige Vergangenheit, wer hätte das gedacht? Wen wunderts, dass immer noch Dein Konterfei auf Bauwagen gesprayt wird ;-) Hatte die Patty Smitz der townships damals auch einen geistigen Bruder á la Robert Mapplethorpe? Keine Angst, Du , musst Dich hier nicht rechtfertigen, wir verstehen es auch so, dass Du Dich um Vater kümmerst und nicht umgekehrt.
AntwortenLöschen4th of July ... was ist nur aus dem Land der Freiheit und unbegrenzten Möglichkeiten geworden?
Ganz liebe Grüße und hab einen wunderschönen Sonntag!
Nadine
Na jaaaa. Was hätt ich sonst machen sollen außer Musik? Haha, da sagst du was, es gab tatsächlich eine Art Robert Mapplethorpe... :-)))
LöschenIch glaube, ich war immer recht frei im Inneren. In letzter Zeit aus gegebenen Umständen leider nicht mehr so, aber ich vermisse es sehr. Wenn es einen Weg gäbe, mich nicht zu kümmern, würd ich das liebend gern tun :-)))
Ganz liebe Grüße zu dir und dir auch einen wunderschönen Sonntag!
Maren
Mein aufrichtiges Mitgefühl. Ob Sinsinnati oder Oftersheim, die Leute scheinen genau zu wissen, was, vor allem Frauen für die Eltern tun oder lassen müssten.
AntwortenLöschenEine falsche Bewegung und schon ist der Kommentar im Internet verewigt. 🧐
LöschenDie Anspruchshaltung an andere ist gerne riesig. Und in Bezug auf die Alten schwingt vermutlich die Angst mit, dass man sich künftig selbst in einer ähnlichen Situation wiederfinden könnte. Die Angehörigen mit der eigenen Meinung allerdings zu behelligen, ist einfach nur dreist.
Ich wünsche Dir eine schöne Rückkehr nach München. Herzliche Grüße, Sula
Oh, eine wunderbar ironische und pointierte Abrechnung mit dieser Stadt Sinshome...., daß Amis mal dort in der Gegend stationiert waren ist mir bekannt. Ebenso, daß der Hoffenheimer Bundesliegaclub in der Nähe beheimatet ist. Ach, ja, und die Autobahn führt auch vorbei, da fuhr ich letztens vorbei bei meinem Besuch der Gala bei Mannheim ...und da war auch Stau, glaub ich. Die Story mit Deinem Vater kommt mir bekannt vor....kümmert sich den größten Teil des Lebens um niemanden...zum Glück hat er jetzt eine organisierte Pflegebetreuung...ich könnte das nicht. Und meine dominant-nervenden Mutter benötigt jetzt auch Betreuung. Und daß dann von Personen - auch in der Verwandtschaft dann leichte Vorwürfe kommen, daß man sich doch um die so liebe Mutter mehr kümmern sollte....kenn ich auch. Beide sind übrigens knapp 90. Ich hoffe, ich finde vorher ein entsprechendes Verabschiedungsmittel....
AntwortenLöschenAlles Liebe, weiterhin gute Nerven und gute Erholung, die ja hoffentlich bald ansteht....und die 4th of July Feiern....welche Independence feiern die nun?
Gute Zeit
Violetta
...um keine Unklarheiten aukommen zu lassen....das Mittel wäre für mich und meine Liebste :-)
LöschenWenn ich das richtig "sehe", bist Du jetzt erstmal wieder zu Hause, hier in München.
AntwortenLöschenSo schlecht sieht es bei blauem Himmel gar nicht aus, Dein "One Horse Town". Finde ich. Aber irgend einen Grund (oder mehrere) wird es schon gegeben haben, warum Du den Ort verlassen hast.
Springsteen fühlen. Klar. Geht immer. Und ja. Auch wir hier sind mit einer Welt aufgewachsen, die etwas östlich einfach "zu Ende" war. Dahinter waren Menschen eingesperrt, die nicht sagen durften was sie wollten, nicht reisen durften, wohin sie wollten, die wegen Meiner "ohne Glauben" waren und sich vielleicht auch nur gerade ein paar Jahrzehnte "erholten" um über uns herzufallen.
Ob der anderen Seite gab es den großen Befreier, den Retter des Weltfriedens und den Beschützer der "westlichen Werte".
Jetzt sieht das Weltbild der meisten Menschen wohl ein bisschen anders aus. Wir "alten" werden wohl etwas brauchen uns an alles Neue zu gewöhnen.
Lass Dir kein schlechtes Gewissen einreden. Es gibt Menschen die wollen und können zusammen leben. Und es gibt welche, die können und wollen das nicht. Bei Euch scheint das "lose" Familienleben 30 Jahre - für alle Seiten - kein Problem gewesen zu sein. OK. Jetzt musstest Du ran. Aber Du hast das gut gemeistert. Wie Du es vielleicht auch für eine andere Person getan hättest. Und jetzt schaust erst einmal, wie das so läuft.
Komm gut in die neue Woche.
BG Sunny