Wohnen in London: selling England by the pound


""Can you tell me where my country lies?"
said the unifaun to his true love's eyes.
"It lies with me!" cried the Queen of Maybe
for her merchandise, he traded in his prize.

"Paper late!" cried a voice in the crowd. "Old man dies!" 
The note he left was signed "Old Father Thames",
it seems he's drowned;
selling england by the pound."

("Dancing with the moonlit knight", Peter Gabriel (Genesis), 1973)

(In etwa: "Kannst du mir sagen, wo mein Land liegt?" fragt der Unifaun seine wahre Liebe. "Hier, bei mir!" schreit die Königin der Möglichkeiten, für deren Angebot er längst einen hohen Preis bezahlt hat. "Abendausgabe!", ruft eine Stimme in der Menge, "der alte Mann liegt im Sterben!" Er hinterließ eine Nachricht, unterschrieben mit "Old Father Thames", scheint so, als wäre er ertrunken. Wir verkaufen England pfundweise...")




Apropos Pfund oder Pound: nach gut einer Woche hab ich immer noch keinen Cent - oh nein, stimmt, es heißt hier ja immer noch Penny! - Bargeld in den Händen gehalten. Noch viel mehr als in Deutschland bezahlen nämlich alle nur noch mit Karte beziehungsweise mit dem Handy. Das Mobiltelefon braucht man im Grunde für einfach alles: den Barcode des Zugtickets, Ein- und Auschecken in der U-Bahn, Bezahlen an den Self-Service-Kassen im Supermarkt, im Café... ah, außer natürlich auf den Flohmärkten, wie mir kürzlich in der Portobello Road bewusst wurde, als ich eine hübsche Vintage-Tasche entdeckt hatte, aber nicht contactless bezahlen konnte.




So what, wenn ich ehrlich bin, ist Vintage im Allgemeinen eh nicht meins. Entschuldigt bitte, ich will das leidige Thema Brexit nicht schon wieder anschneiden, aber ich versuche ja immer, Dinge zu verstehen und zu hinterfragen, und so manche Vibes, die ich auf dieser Insel empfange, gehen halt schon in Richtung penetrant versnobtem Patriotismus. "British" scheint hier so eine Art Gütesiegel für alles zu sein, und ständig scheint es um die Frage zu gehen, worauf die Briten (noch) stolz sein können. Für mich lässt sich das nur so erklären: alle stehen hier auf Vintage. Retro ist einfach hip!




Dabei ist das Denken, dass Stolz sich durch die zufällige Lage des Geburtsortes erwerben lässt, meines Erachtens nach wirklich der antiquierteste Bullshit, den man sich vorstellen kann.  In der Beziehung bin ich direkt erleichtert, als schuldbeladene Deutsche aufgewachsen zu sein, die sich stets bemühte, im Ausland bloß nicht unangenehm aufzufallen. Und im Übrigen: welchen britischen Traditionen sollte man wohl auch nur eine Träne nachweinen? 


Etwa der Fuchsjagd des versnobten Landadels? Oder der schlechten Gewohnheit, einfach jedes Fleckchen Erde zu besetzen, auf das man zufälligerweise den Fuß setzt? Etwa der ausgeprägten sozialen Hierarchiewelche sich noch heute an unterschiedlichen Privilegien, von Bildungschancen bis zu Beschäftigungsaussichten, festmachen lässt? Oder dem Brauch der Monarchie, welche das Gefühl der nationalen Einheit auf die Spitze treibt? 


Das Positive daran, fast die ganze Welt besetzt, kolonialisiert und "zwangs-commonwealthisiert" zu haben, ist, dass man zumindest in London schon lange in einer traumhaft kulturellen Vielfalt lebt, was natürlich nicht nur, aber letztendlich auch bedeutet, an jeder Ecke authentisches internationales Streetfood genießen zu können, ob karibische, afrikanische, malaysische und natürlich die "klassische" indische Küche. Ein Chicken Tikka Masala gehört bereits zum britischen Kulturgut


Mit Kritik am Brexit oder der viktorianischen Vergangenheit sollte man sich als schnöder Tourist aber besser nicht in die Nesseln setzen, als Bloggerin schon dreimal nicht (dann heißt es bestimmt wieder, ich sei so negativ, dabei versteht mich nur wieder keiner 😂). Reden wir also besser über etwas Unverfängliches, zum Beispiel über das Lieblingsthema der Briten; das Wetter, worüber der Durchschnittsbrite bis zu 6 Monate seines Lebens smalltalkt. Puh. Also, selbst, wenn mir unendlich langweilig wäre... gähn! 




Dabei gibt es durchaus Dinge, die ich an der typisch britischen Kultur durchaus zu schätzen weiß, allen voran der selbstironische Humor und das klassische Understatement. Hilfsbereitschaft, Bitte, Danke und Entschuldigung sagen, anderen den Vortritt lassen, im Umgang mit Menschen stets einen kleinen Scherz auf den Lippen zu haben ist eindeutig anerzogen bzw. kultiviert, genau so wie in München der unfreundliche Grant, in Hamburg das kühle Marineblau und in Berlin die schnoddrige Art, Menschen vor den Kopf zu stoßen und das auch noch cool zu finden. 


Außerdem finde ich lustig, dass man Dinge so gut wie nie so ausspricht wie man sie schreibt, ich sag nur "Gloster", "Lester", "Wuster", "Norritsch" und "Grennitsch". Ich bin zudem ein Fan davon, dass bei trockenem Wetter jede Grünfläche in der Stadt besetzt und dort gepicknickt wird und ich liebe auch die britische Hausmannskost, die nicht erst seit Jamie Oliver ihr einst schlechtes Image endgültig verloren hat.



"Selling England By the Pound" war übrigens der Slogan des Wahlprogramms der Labour Party in den siebziger Jahren und bezog sich auf die Zerstörung der traditionellen englischen Kultur durch modernen Kommerz und Materialismus. Apropos Kommerz: im Übrigen habe ich trotz des angeblichen britischen Individualismus noch nie so viele Menschen in exakt denselben trendigen Latschen der Firma aus Herzogenaurach gesehen wie hier in London Town. Hm. Wohl doch nicht alles Vintage... beziehungsweise erst recht, denn der "Samba" ist im Grunde ja sowas von Retro. Wenngleich nicht British - ha!

Moment mal... aber möglicherweise hat dieser komplett falsch verstandene, angeblich hippe, vordergründig stylische Vintage-Kommerz am Ende zum Ausstieg aus der EU geführt! Erst propagieren Leute wie Jamie Oliver wieder Cornish Pastries und den klassischen Sunday Roast, unterlegt vom angelehnten 50er-Jahre-Sound à la Amy Winehouse und Duffy, dann rennen sie plötzlich die Türen der Second-Hand-Shops auf der Portobello Road und Camden Lock Market nach ranzigen Ledertaschen ein... und schließlich führt eins zum anderen...! Huch! Welch Ironie des Schicksals!

Ich werd mir auf gar keinen Fall so eine ranzige Vintage-Tasche kaufen, das schwör ich. 



Kommentare

  1. "After school is over, you're playing in the park,
    Don't be out too late, don't let it get too dark,
    they tell you not to hang around and learn what life's about
    And grow up just like them, won't you let it work it out
    and you're full of doubt..."

    - School, Supertramp -

    Liebe Maren,

    ich weiß nicht, wieso mit dieser Song jetzt einfällt, vielleicht weil es auch ein genialer Song der 70er war?

    Die Musikszene der 70er in London, meine Güte, da hätte ich gern mal gespinxt.

    Komm schon, Maren, heb dir an einer Bank Geld ab und kauf dir die Vintage-Tasche, du willst sie doch!! Wenn du wieder in Germany bist, ärgerst du dich.

    Zum Brexit, joo, ich war total entsetzt als ich die Nachricht hörte, dass sie für den Austritt aus der EU gestimmt hatten. Konnte ich nicht glauben. Wenn ich aber überlege, was von da bis jetzt alles politisch geschehen ist, das kann ich ja auch nicht glauben.

    Der "Samba" ist Freddie , vor allem in weiß mit schwarzen Streifen . :-)

    Paddington, wie schön, der Kleine. Ach, die Engländer sind doch nett. :-) Was haben sie für tolle Musiker hervorgebracht, schon allein deshalb muss man sie mögen. Von James Bond ganz zu schweigen.

    Liebe Grüße,
    Claudia und danke fürs Zeigen der schönen Fotos

    "Don't criticize, they're old and wise
    do as they tell you to.. - Supertramp -

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    1. Liebe Claudia,
      Grow up just like them won't let you work it out, wär jetzt aber logischer... oje, du siehst - ich stehe heute auf der anderen Seite, der der klugscheißerischen Teacher, die die Kids alone leaven sollen (auch Briten, die das schrieben!) :-DDDD
      Ich wollte nur ein passendes Zitat zum Text finden... ;-)))
      Ja, ich heb Geld ab, aber die Tasche finde ich eh nie wieder in der Riesenstadt. Macht nix, hab schon was anderes "im Auge"... :-)))
      Die Briten sind nett, stimmt. Im Sinne von zuvorkommend, freundlich. Kaum jemand, der mal nicht nett zu mir war. Das ist wirklich auffallend anders als zu Hause ;-))) (Da gibt's solche und solche, aber Freundlichkeit steht nicht an erster Stelle der deutschen Tugenden :-))))
      I never critizise... mach ich wirklich nicht. Ich beobachte nur und stelle fest :-)))
      Liebe Grüße, gerne!
      Maren

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  2. Ja, da gehst Du ganz schön ins Gericht mit den Briten, liebe Maren. Aber wohl zurecht. Sie hängen ja immer noch ihrer verlorenen Weltmachtstellung nach und meinen, sie wären doch irgendwie die Besseren. Wie die Welt wohl aussehe, hätten sie nich fast alles dort okupiert und verbritisiert.
    Aber irgendwie liebt man sie doch....oder ich zumindest bin und bleibe ein Englandfan. Landschaftsmässig und auch die balltretenden Jungs und Mädls haben immer meine Unterstützung. Weiß auch nicht genau wieso....vielleicht wegen der britischen Pop-und Rockmusik?
    Seltsamerweise war ich lediglich einmal dort....und das hat mir zumindest kulinarisch einen ziemlichen Schock versetzt....aber Fish and chips gibt´s ja wenigstens.
    Wünsche Dir noch eine gute Zeit....vielleicht findest Du doch noch etwas, das mit Barem gekauft werden kann.
    Liebe Grüße
    Violetta

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    1. Frag mich auch wie die Welt aussehen würde...!
      Und klar liebe ich den typischen britischen Humor, Lifestyle und natürlich die genialen Musiker. Irgendwie "erfinden" die doch immer ein neues Genre, oder sie erfinden es wieder neu und/oder mixen Neues dazu, schon sehr kreativ (s. Britpop und 50ies Sounds).
      Das englische Essen ist super, wirklich, gar keine Frage! Das war vielleicht mal in den 70ern, dass man das nicht essen konnte... Fish & Chips steht auch noch auf dem Plan.
      Ja, das finde ich sicher. Ich muss nur noch Bares abheben :-)
      Liebe Grüße,
      Maren

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  3. Eine ranzige Vintage-Tasche kaufst du natürlich nicht, liebe Maren. Aber eine schön doch wohl schon.... wir würden sie zu gern sehen!<3
    Ja, die spinnen, die Briten, das wusste ja schon Asterix. Was er heute wohl sagen würde?? Der Brexit war ja wohl mit das Schlimmste, was sie sich die letzten Jahre ausgedacht haben. Es sich Schönreden und -Denken hilft da leider auch nicht viel... frag mal Annette Dittert, die hat so mitgelitten.
    Ich war das letzte Mal vor 18 Jahren in London. Und habe auch gleich das britische Gesundheitssystem probiert im Chelsea&Westminster Hospital. Aber nur ambulant mit gebrochenem Ellbogen und ich war beeindruckt damals vom kompetenten, multinationalen Team.
    Dass London eine großartige Stadt ist, ist unbestritten. Und dass Du dort noch drei Wochen jeden Morgen aufwachst, finde ich ganz toll.
    Ich freu mich auf viele weitere spannende Reportagen - und ein Foto mit Vintage-Tasche... :-)
    Bargeld vergrößert generell einfach die Lebens-Möglichkeiten, finde ich.
    Herzliche Grüße aus dem bodenständigen Franken von
    Sieglinde

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    1. Nein, wahrscheinlich überhaupt kein Vintage :-) Eine schöne ganz bestimmt... die werd ich sicher noch finden. <3
      Okay, ich frag Anette Dittert, wenn ich sie sehe :-))
      Das mit dem Ellbogen hattest du schon berichtet, wie gut, dass dir so kompetent geholfen wurde. Ich bin überzeugt, dass die Ärzte super ausgebildet sind, aber auch im Gesundheitswesen bricht seit längerem hier das Chaos aus . Das Gesundheits- und Sozialsystem finde ich in Deutschland sogar (noch) weitaus besser, vor allem personell und wie es finanziert wird - aber das hat ja nichts mit der Kompetenz der Ärzte zu tun.
      Ja, ich werd mir ein wenig Bargeld "zulegen", aber im Prinzip zahlt hier im Alltag wirklich niemand mehr bar.
      Ich freu mich auch auf die weiteren drei Wochen! ;-)))
      Herzliche Grüße aus dem mindestens genauso bodenständigen East Croydon (wir sind ja nicht in Mayfair! :-) von Maren

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  4. Ich weiß nicht, findet man diesen Patriotismus nicht überall?
    Wir waren vor dem Brexit dort und in London wurde heftigst dagegen protestiert. Kein Tag ohne friedliche Demo und alles war total multikulti.
    Das Englischste was ich wohl zu mir genommen habe war der Afternoontea.😂 Den vermisse ich hier ja oft.
    Vintage finde ich auch schwierig, ist ja doch ganz schön alt.😂 Wobei einige meiner Sachen mit mir zu Vintage werden. hm.😵‍💫
    Schöne Fotos hast du gemacht und das Wetter (smalltalk😉) lädt wirklich zum picknicken ein.
    Vintage Tasche? War das so olles Leder? 🤭 Ich habe mir damals dort eine kitschige alte Teetasse mit gold etc. gekauft, zum zelebrieren meiner britischen Teestunde zu Hause. Die habe ich auch immer noch, als Erinnerung. Öhm und für jeden Londonaufenthalt eine Lulu Guinness Tasche und mein Bowie Shirt habe ich aus London. Passt mir jetzt viel besser als damals.
    Danke für die Fotos, Du kommst natürlich ganz schön rum. Nach Paddington hat es damals nur Sarah geschafft.Der Bär ist so süß.
    Sind die Briten unfreundlich zu Dir? Kann ich mir nicht vorstellen, oder?
    Weiterhin eine tolle Zeit, liebe Grüße Tina

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    1. Tut man das? Vielleicht den Patriotismus, aber nicht das Klassensystem und dieses ewige Festhalten am good old England, was es ja eh längst nicht mehr gibt.
      Ist es bei uns so immens wichtig, in welchem Stadtviertel man wohnt? Gibt es bei uns solche Elite-Unis wie Oxford oder Eton? Hat es was damit zu tun, wer und vor allem wie "schwer" deine Eltern sind, ob du studieren und vor allem, wie deine Berufsaussichten sind? Kann man in Deutschland den Hausarzt selbst wählen, egal ob man Geld hat oder nicht? Hier nämlich nicht.
      Natürlich sind die Briten allgemein super freundlich zu mir, warum fragst du? Ich bin übrigens auch freundlich zu ihnen! ;-)))
      Morgen ist Camden Lock Market angesagt, und dann muss auch ein bisschen Kultur sein, z.B. Museen, hab die ganze Zeit auf Regen oder so gewartet, aber Pustekuchen. Nur strahlender Sonnenschein...
      War auch nicht am Bahnhof Paddington, aber der Bär sitzt an verschiedenen Flecken herum und isst seinen Marmeladensandwich... die Filme sind obergenial, wirklich süß!
      Vielen Dank! Liebe Grüße und einen schönen Sonntag, Maren

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  5. You say you want a revolution
    Well you know
    We all want to change the world …
    Sangen die Beatles schon 1968
    Was wäre dem hinzuzufügen?
    Eine Änderung würde erst einmal Hässliches bedeuten und das will
    niemand, weshalb am Bewährten festgehalten wird, zumindest an König und Klassensystem. Das Bargeld scheint nach Deiner Schilderung bereits auf dem Rückzug.
    Vielen Dank für die schönen Bilder und genieße das gute indische-englische Essen, Sula

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