Sunday Colours: Deutschland-Sperre

Wenn ich ehrlich bin, finde ich an einem Italien-Urlaub die Vorfreude - also die Fahrt über den Brenner beziehungsweise den ersten Latte Macchiato "nach der Grenze" an der bestimmten "traditionellen" Autobahnraststätte fast am Schönsten! Denn dieses Ritual war und ist mit einem ganz bestimmten Gefühl verbunden: endlich mal wieder "raus aus Deutschland" zu sein. 

Dazu muss ich ausdrücklich sagen, dass ich es ansonsten als ungeheures Privileg empfinde, in Europa, und natürlich auch in Deutschland, leben zu dürfen, allein schon wegen des Zusatzes im Reisepass, der ja bekanntlich lautet: 

Für mich die romantischsten drei Worte, die ich kenne! Dadurch fühle ich mich nämlich unglaublich frei. Von der Welt umarmt und geliebt, sozusagen. Nicht missverstehen: es geht mir gut, wo ich lebe, sehr gut sogar! Und es gab in den letzten 18 Monaten (so lange war ich über keiner Grenze mehr!) durchaus Augenblicke, da wusste ich, dass Tagore recht hat, wenn er bemängelt, dass ich vor lauter Weltenbummlerei den "funkelnden Tautropfen im Gras gleich vor meiner Tür" nicht mehr sehen konnte. Dass er mich persönlich mit seinem Zitat meinte, versteht sich ja wohl von selbst. 

Echt jetzt. Ich nahm es mir zu Herzen, bin ja durchaus kritikfähig und einsichtig. Aber dann wiederum überkam mich das Gefühl, dass ich eingehe, wenn ich nicht wenigstens mal über ei-ne kli-tze-klei-ne Grenze darf... ins Ausland, bitteschön. Denn irgendwann mal ist auch meine Grenze erreicht, Leute! Meinetwegen auch nur nach Luxemburg, Liechtenstein, Österreich oder der Schweiz. Die Ansprüche sinken ja unglaublich mit der Zeit. 

Und im Geiste sprach ich zu Tagore: "Okay, Schätzchen. Schön, schön. Der Tautropfen also. Vor meiner Tür. Supi. Aber immer nur dieser ätzende Tautropfen... uäh. Jetzt isses aber auch mal gut damit! Tagore, du Blödmann!" Dabei schrie ich in meiner Verzweiflung, heulte anschließend kurz auf, seufzte am Ende schwer, ließ mich ermattet aufs Kopfkissen sinken und stellte fest, dass sie von mir Besitz ergriffen hatte, fast wie ein Fieber: die Deutschland-Sperre!

Aaaaah! Deutschland-Sperre! Im Übrigen eine nicht zu unterschätzende Infektion. Kann einen geradezu über Nacht erwischen. Die Symptome sind vielfältig, aber die Krankheit macht sich vor allem darin bemerkbar, dass man plötzlich haltlos weinen muss, wenn jemand im Restaurant am Nebentisch ein Schnitzel mit Pommes bestellt, einen Schreikrampf bekommt, weil an Tagen wie diesen die Toten Hosen im Radio laufen oder mit der Fernbedienung nach dem Bildschirm wirft, weil ständig Karl Lauterbachs Kopf dort auftaucht! Kreisch!!! 

Wenn dann noch die Kollegin anruft, um einem mitzuteilen, dass sie sich leider um fünf Minuten verspäten wird (und man wegen dieser wahn-sin-nig wich-ti-gen Info - es geht schließlich nahezu um Leben und Tod und um die Frage, ob man das Zuspätkommen besser gleich mal dem Ordnungsamt meldet, gell??!!! - extra sein Cappuccino-Making-of unterbricht und zum Telefon hechtet...!) - dann ist es endgültig soweit: die Deutschland-Sperre hat zugeschlagen!!!

Zum Glück gibt es eine recht wirksame Kur dagegen: einmal kurz übern Brenner düsen. Ach, Leute - dieses Gefühl! Aufatmen. Auftanken. Südtiroler Spätherbst-Sonne genießen. Törggelen. Speck, Knödel, Schlutzkrapfen, Gewürztraminer, Bozner Bier, Tiramisu und den ganz besonderen Latte Macchiato mit dem feinen Schaum genießen. Und auch, wenn die Menschen noch deutsch sprechen: irgendwie ist man halt doch schon in Italien.

OUTFIT: 

Kleid: Esprit

Schuhe: Gabor

Poncho, Gürtel und Tasche: schon älter (2018?)

Taschenriemen: aus einem kleinen Laden in Soest (Sommer 2021)

LOCATION:

Bozen/Oberbozen

Outfitfotos: Tramin/Terrasse der Ferienwohnung