Sunday Colours: Moralische Bedenken
Möglicherweise gehöre ich ja mittlerweile selbst zu den Menschen, vor denen uns unsere Freunde früher immer gewarnt haben, ihr wisst schon: die ewig rumnörgelnden Oberspießer, die jammern, dass früher alles besser war und die Jugend heutzutage weder Anstand noch Moral besitzt.
Hm. Oder - was ich ehrlich gesagt eher vermute - die jungen Leute (zumindest einige von ihnen) schlagen sich nur deshalb eher ungern mit Gewissensbissen herum, weil Anstand und Moral Charaktereigenschaften sind, die erst im Laufe des weiteren Lebens so richtig "ausreifen" - na ja. Idealerweise jedenfalls. Von daher sind die Adoleszenten von heute vermutlich auch nicht so gravierend anders als unzählige Generationen von A bis Z vor ihnen, wir alle eingeschlossen.
Ich mag es wirklich überhaupt nicht, wenn ich auf Vorurteile wie "Generation Z - alles Weicheier und Jammerlappen!" stoße, weil das so natürlich keinesfalls stimmt. Überhaupt, talking 'bout my generation: wir waren ja wohl ebenfalls als reichlich merkwürdig bis irreversibel verkorkst verschrien. Nur gab's damals halt noch keine Buchstaben. Welchen hätte man uns wohl gegeben? Y wie Yuppie oder Yippie? S wie Spaßgesellschaft? N wie No Future oder Nach mir die Sintflut? Oder eventuell doch E wie Ellenbogen oder Egomanie? Tja... mit besonders hohem moralischen Ruhm wie Hilfsbereitschaft oder gar Selbstlosigkeit haben wir uns ja wohl auch nicht bekleckert...!
Und wenn ich mir so manche Selfmade-Milliardäre, Präsidenten und/oder Kriegstreiber anschaue, dann wird mir nicht nur mal wieder klar, dass man moralische Werte in die Tonne kloppen kann, sobald es um Geld und Macht geht, sondern auch, dass einfach jede Generation unfassbar egomanische Kotzbrocken - teilweise mit der Persönlichkeitsstruktur psychiatriereifer Amokläufer, von Gott persönlich gesandt - hervorbringt, ab und zu, im Westen wie im Osten, in guten wie in schlechten Zeiten.
In meinem vergleichbar bedeutungslosen Alltag geht es allerdings weniger um Amoklauf (zumindest nicht bei mir persönlich!) oder gar die Übernahme der Weltherrschaft, sondern mehr um solcherart Überlegungen wie "Nehme ich die Zeitung aus dem Kasten, auch wenn ich 20 Cent zu wenig reingetan habe?" oder "Überlasse ich der alten Dame meinen Sitzplatz in der Tram oder tu ich so, als bemerke ich sie nicht, weil ich selbst so müde bin?". Oder auch: "Ist es okay, wenn ich heute einfach mal blau mache, auch wenn ich strenggenommen gar nicht krank bin?".
So eine Art tägliche Mini-Moral, wenn man so will. Ich weiß nicht, wie's euch immer so geht, aber ich wälze mich doch eher selten schlaflos im Bett hin und her, weil ich darüber nachgrüble, ob ich am nächsten Morgen ungebeten in mein Nachbarland einmarschieren soll oder es lieber bleiben lasse. Tja, ich höre jetzt schon alle Österreicher, Tschechen, Franzosen und sonstige Nachbarn erleichtert aufatmen...!😂 Im Übrigen genügen bei mir Überlegungen, die in weit weniger folgenreichen Konsequenzen enden, um mich stundenlang wachzuhalten.
Apropos moralische Bedenken: es macht für mich einen großen Unterschied, ob ich einen Apfel vom Baum, aus der Obst- und Gemüseabteilung eines Supermarkts oder aus der Einkaufstasche einer hungrigen Rentnerin an der Armutsgrenze klaue - auch wenn es sich immer um den selben Apfel handelte. Ich denke, wir alle würden hier eine ähnliche moralische "Reihenfolge" festlegen: Baum ist irgendwie noch na ja, Supermarkt je nachdem, wie groß der Hunger und die Not sind, arme Rentnerin geht natürlich gar nicht.
Und in diesem Zusammenhang frage ich mich aus gegebenem Anlass auch, ob und wie es denn moralisch zu rechtfertigen ist, wenn man sich noch während seiner Probezeit im neuen Job wochenlang krank schreiben lässt, nachdem einem klar geworden ist, dass die Arbeit wohl doch zu anstrengend wird. Die ärztlichen Atteste schützen ja vor der fristlosen Kündigung, selbst in der Probezeit, wie praktisch.
Genau das erlebe ich binnen kürzester Zeit nun schon zum zweiten Mal. So eine Art "Job-Nomadentum". Es geht mir nicht mal um Steuergelder und sowas, aber hier verbirgt sich für mich eine Krux, die jetzt gar nicht mal so ohne ist: wenn man sowas tut, schädigt man ja auf direktem Wege mit Beziehungsabbrüchen vertraute Kinder, die dann gleich nochmal eins "draufkriegen" - von wegen, alle, die uns kennenlernen, hauen eh gleich wieder ab.
Des Weiteren belegt man eine Stelle, die ansonsten ausgeschrieben und neu besetzt werden könnte. Logischerweise geht so ein Verhalten auch immer auf Kosten der verbleibenden Kolleg*innen. Nicht zu vergessen die Vorbildfunktion, die - ihr wisst es! - einprägsamer und wirkungsvoller ist als jedes "pädagogisch wertvolle" Gespräch. So lernen die Kids gleich mal am Role Model, wie es geht. Tja. Insgesamt also so richtig kacke.
Nochmal: natürlich darf und soll man sich krankschreiben lassen, wenn man krank ist, kein Ding. Auch die immer gern als Argument hergenommene "Schröpfung des Staates" ist pillepalle, wenn man überlegt, wofür unsere Steuergelder sonst so verschleudert werden. Ich spreche ganz konkret von jungen, gesunden Akademikern auf der Suche nach der für sie geeignete Arbeitsstelle. Eine Arbeit, die, wenn man sie ernst nimmt, möglicherweise sogar den ein oder anderen Amoklauf bzw. allzu größenwahnsinniges Psycho-Gebaren verhindert! Das meine ich jetzt völlig ernst.
Dabei gönne ich jedem seine persönliche Selfcare-Bubble, aber noch mehr und wirklich von Herzen würde ich meinen Kids mal ein bisschen Ruhe und ein Gefühl der Sicherheit gönnen - in diesen verrückten Zeiten erst recht. Auch und gerade durch die Zuwendung wirklich Erwachsener, denen klar ist, dass die Erde tatsächlich nicht nur um sie selbst kreist.
Und um Missverständnissen vorzubeugen: ich bin wirklich die Allerletzte, die sich selbstlos für andere vor einen Zug wirft oder so, bitte versteht mich also richtig. Aber es ist halt so: wenn ein langjährig beschäftigter Mitarbeiter sich mal einen "blauen Montag" gönnt, dann ist das für mich wie den Apfel unerlaubterweise vom Baum zu pflücken. Gibt möglicherweise Schlimmeres.
So ein "Job-Nomadentum", wenn es sich um - sagen wir mal - eine Architekten-Stelle handelt, wäre meines Erachtens nach wie den Apfel einfach von den Auslagen im Supermarkt zu stehlen. Nicht wirklich nett, reißt aber nur ein kleines Loch in die Kasse.
Wenn es um beziehungsgeschädigte Kinder geht, ist es allerdings meiner Meinung nach in etwa so, als bediene man sich direkt aus dem Einkaufskorb der am Existenzminimum kratzenden Rentnerin und verspeise die Frucht anschließend auch noch genüsslich vor deren Augen, am Besten auch noch, während man ihr erzählt, dass man Soziale Arbeit studiert hat. Har har.
OUTFIT:
Strickkleid: 2. Hand (Zero)
Blazer: Ichi (2023)
Stiefel: 2. Hand (Camel Active)
Tasche: TkMaxx (alter Gurt abgetrennt)
Sonnenbrille: TkMaxx (2022)
Taschengurt: Da Sempre
Waran-Brosche: Geschenk von Sieglinde
Ring: DIY
Liebe Maren,
AntwortenLöschenich musste jetzt erst mal meine Blutdrucksenker schlucken, als ich deinen Post gelesen habe.
Das Schlimme, das sind ja leider keine Einzelfälle. ( Wobei ich tatsächlich noch nicht mal wusste, dass Krankschreibung in der Probezeit vor Kündigung schützt, ich im Tal der Ahnungslosen.)
Gut, dieses Verhalten find ich widerlich! Aber auf der anderen Seite, wenn jemand sich Grönland einfach holen will und weil das noch nicht reicht, auch noch Kanada, was will man dann von ein paar einfach gestrickten Hanseln erwarten? Die haben ja immer noch die Ausrede, Ich nehm mir ja nicht Grönland.
Mein Schwager ( Hallo Uwe!! ) ist auch so jemand ähnliches. Wenn der keinen Bock hat, bleibt er zuhause. Dass das nicht gut bei den Kollegen ankommt, ist klar. Also hat er immer weniger Bock auf die Arbeit usw.
Dein Outfit ist toll! Besonders das Strickkleid und Blazer und Tasche haben es mir angetan. Erwähnte ich, dass ich oliv mag? :-)
Dein Ring sieht auch klasse aus!! Ist aber jetzt kein Schlagring, oder? hihihi
Allerdings nehme ich mir auch manchmal einen Apfel vom Baum, oder ein paar Brombeeren oder Himbeeren. Aber immer nur in freier Natur, ich schwör!!
Gestern bin ich an einem rauschenden kühlen Bach vorbeigekommen. Hätt ich mein Badezeug dabei gehabt, wär ich mal rein. So hab ich nur Schuh und Strümpf ausgezogen und bin mit den Füßen rein. Nach dem ersten Schreck erfrischend.
Liebe Grüße,
Claudia